Toedliches Erbe
Abends gegen halb zehn in ihrem Hotel die Nachricht vorgefunden, sie möge Mr. Reston anrufen.
Kate wählte die Nummer auf dem Zettel und fand sich mit dem Merton College verbunden. »Mr. Reston bitte«, sagte sie und fragte sich, was passiert sein mochte, wie Max dorthin gekommen war und warum. Aber als sich dann ein Mr. Reston meldete, war es nicht Max, sondern Herbert Reston.
»Ich hoffe, ich rufe nicht zu spät an«, sagte Kate.
»Ganz und gar nicht. Ich bin erst heute morgen angekommen und habe mich kurz mit Hugh unterhalten. Er schlug vor, daß wir uns vielleicht treffen. Und da Sie die Gärten der Colleges so lieben, meinte er, daß wir das hier in unserem Garten tun sollten. Ich komme vorbei und hole Sie ab.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Kate. »Wir treffen uns in ein paar Minuten an der Pförtnerloge, falls Sie so spät am Abend nicht zu müde sind für ein Gespräch.«
»Keineswegs. Ich bedaure nur, daß uns keine Zeit bleibt, etwas Zivilisierteres zu arrangieren, aber leider muß ich morgen wieder in London sein. Ich bin nur für eine Nacht hier. Also dann in ein paar Minuten.«
In England bleibt es natürlich im dort so genannten Sommerse-mester bis zehn Uhr abends hell. Man vergißt, dachte Kate, wie weit nördlich England liegt und wie angenehm es von diesem wunderba-117
ren Golfstrom erwärmt wird. Herbert Reston war schon da, erwartete sie an der Pförtnerloge, und als erstes fiel Kate auf, wie wenig er Max ähnelte.
Sie gingen zusammen in den Garten, von dem man bis zum Christ Church Meadow sehen konnte. Es war das Schönste, was Kate sich im Zusammenhang mit England vorstellen konnte. »Man hat mich noch nie zu einem Dinner im Speisesaal eingeladen«, sagte sie zu Herbert Reston, »und ich brenne auch nicht besonders darauf. Ich glaube nämlich fast, daß das hier viel schöner ist, vor allem, weil Besucher das College gar nicht betreten dürfen.«
»Der Garten ist wunderschön, aber ich weiß trotzdem, was Sie denken, nämlich daß ich Max überhaupt nicht ähnlich sehe. Ich bin kahl, pummelig und ein umgänglicher Mensch, Max dagegen groß, schmal und lässigelegant. Ich fühle mich immer ein wenig wie auf dem Prüfstand.«
»Max sagte mir, Sie lebten in Amerika.«
»Ich verbringe viel Zeit in Amerika, bin aber auch oft hier. Die Medizin ist heutzutage zum Glück ein internationales Geschäft.
Wollen wir uns setzen?«
»Verzeihen Sie«, sagte Kate und ließ sich äußerst damenhaft auf einen Sitz fallen, damit auch er sich setzen konnte. »Ich war mit meinen Gedanken woanders. Es ist nett von Ihnen, daß Sie sich einen Moment Zeit genommen haben.«
»Sie sind eine Frau, der es seit Jahren gelingt, einen äußerst starken Eindruck auf Hugh zu machen. Das ist in der Tat etwas Einmaliges. Er ist nämlich normalerweise nicht der Mann, der leicht zu be-eindrucken wäre. Einer der Mängel wissenschaftlich geschulter Köp-fe, fürchte ich, und er wird immer dann sichtbar, wenn so ein Wissenschaftler mit einer Persönlichkeit konfrontiert ist statt mit einem Theorem. Max hat das oft beklagt.«
»Waren Sie als Jungen gute Freunde?«
Falls Reston die Frage seltsam fand, ließ er sich das nicht anmerken. »O ja, bevor wir zur Schule gingen, ganz gewiß, und auch in der Grundschule, wo wir der große und der kleine Reston waren, obwohl der große von Anfang an viel kleiner war als der kleine – eine Tatsache, mit der ich, der größere, mich seit langem abgefunden habe.
Max ähnelt unserem Vater, der groß und schlank war, ich unserer Mutter, die klein war und in ihren späteren Jahren eher tonnenför-mig. Wahrscheinlich wäre sie immer schon rundlich gewesen, aber junge Frauen wissen zweifellos, wie sie diese Neigung unter Kon-118
trolle halten können. Dabei fällt mir ein: Meine Schwester sieht mir ähnlicher als Max, aber sie ist bis heute längst nicht so rund. Eine meiner ersten Erinnerungen an Max ist, daß wir aus dem Kinder-zimmer ausziehen und unserer Schwester Platz machen mußten, und Max sagte: ›Es macht mir nichts aus, mit Bertie ein Zimmer zu teilen, solange ich lesen darf, wenn er schnarcht.‹ Max war damals ein Kleinkind und konnte überhaupt noch nicht lesen. Wir waren alle der Meinung, daß er schrecklich arrogant war, und wie ich höre, ist er das heute noch. Nicht, daß ich ihn nicht mögen würde, damals wie heute.«
»In Oxford würde Max wahrscheinlich nicht weiter auffallen, aber in Amerika hebt er sich ziemlich ab. Haben Sie ihn nicht vor kurzem
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