Toedliches Erbe
denn ihr letzter Roman war so erfolgreich geworden – er wurde sogar verfilmt
–, daß der Fonds nun jedes Jahr für fünf und mehr Mädchen ausreichte. Wichtig war, daß das Geld für Mädchen bestimmt war, die schon gearbeitet hatten. Sympathie für die Arbeiterklasse ließ sich nicht wegdiskutieren. Ohne Zweifel hatte Frederica angeboten, Max zu adoptieren, hatte ihn bereits adoptiert und zu Dorothy gesagt: Du brauchst ihm kein Geld zu hinterlassen. Wieviel Geld hatte die Whitmore überhaupt besessen? Konnte irgend jemand im voraus wissen, daß aus ›North Country Wind‹ ein Bestseller und ein erfolgreicher Film würde? Kate trat ans Fenster, sah auf den Tennisrasen hinab und auf die Blumenbeete dahinter, und plötzlich dachte sie an Graves, wie er in Pyjama und Morgenmantel im Somerville herum-gewandert war und wie sein Tutor vor ihm, dem Offizier, salutiert hatte. »Das gesellschaftliche Leben war aus den Fugen geraten«, 124
hatte Crackthorne geschrieben. So war es. Es mußte am Krieg gelegen haben. Irgendwem mußte sie das auseinandersetzen. Sie würde Phyllis die ganze Geschichte erzählen. Phyllis hatte einen scharfen und klaren Verstand und ging unvoreingenommen an alle Dinge heran. Falls Kate Schimären nachjagte, würde Phyllis Gott sei Dank die erste sein, die ihr das sagte.
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Zwölf
P hyllis tat es laut, klar und unmißverständlich, nachdem sie sich Kates Geschichte bis zum Schluß angehört hatte – eine Geschichte, die sie für die widersinnigste seit Ian Flemings unglücklichem Ende hielt. »Du hast dich verirrt, meine Liebe«, verkündete sie, wenn auch nicht unfreundlich.
In gewisser Weise fand Kate diese Haltung sogar beruhigend.
Tatsächlich hatte alles allzu klar und eindeutig ausgesehen, und nichts im Leben ist je so.
»Laß trotzdem deine Einwände für einen Augenblick beiseite«, sagte sie, »und hör dir noch zwei Aspekte dieses Problems an. Der eine ist Max’ schriftstellerische Tätigkeit und sein Image in der Öffentlichkeit; der andere liegt in der Persönlichkeit der jungen Dorothy Whitmore. Zunächst zu Max. Ich habe mir aus dem ›Who’s Who‹ eine Liste seiner Publikationen kopiert. Die meisten seiner Bücher habe ich selbst gelesen, schließlich ist er ja ein Freund. Sie kommen allesamt zu dem Ergebnis, daß sowohl in der Kunst als auch im täglichen Leben der Standard unweigerlich sinkt. Über das tägliche Leben äußerte er sich dabei weniger ausführlich, wenn ich das so sagen darf. Jedenfalls pflegte er zu einer Zeit, als Professoren und Verwaltung in der Mehrzahl der Studentenrevolution und diesen Dingen vielleicht nicht gerade freundlich gegenüberstanden, sich aber einer Machtverschiebung in unserer Gesellschaft zumindest bewußt waren, weiterhin sein altes autoritäres Ego mit einer außergewöhnlichen Blindheit für die Realität des Krieges in Vietnam. Gut, du nickst und bist einverstanden, und ich sollte jetzt meinen Stand-punkt folgen lassen, und der lautet: Dieser Mann will auf gar keinen Fall durch die Geschichte seiner Geburt in das Blickfeld feministischer Schriftstellerinnen und der feministischen Forschung geraten, zumal seine Mutter den Radikalen, die er heute so verabscheut, fatal ähnlich ist. Und noch viel schlimmer: Sein Vater ist allem Anschein nach nicht eine dieser hochgewachsenen und wunderbar arroganten Erscheinungen à la Lord Riddlesdale von J. S. Sargent, sondern ein arbeitsloser Niemand aus der Unterschicht ohne Herkunft und Bildung.«
»In Ordnung, das leuchtet mir ein. Ganz bestimmt, du kannst es mir glauben, Kate. Wenn du den Horror beschreibst, den Max vor allem hat – von der modernen Welt im allgemeinen bis zur Aufde-126
ckung dieses schrecklichen Geheimnisses im besonderen, das schwarz auf weiß in Cecilys Papieren nachzulesen ist –, dann kann ich dir nicht nur folgen, sondern hechele mit Begeisterung sogar noch ein Stück voraus. Aber vergiß nicht, was du damit behauptest, nämlich, daß er deine Studentin, die kleine Marston, über den Papieren erwischt, sie auf die Felsen gelockt und ermordet hat. Alles das, um die Geschichte seiner schmachvollen Geburt vor der Welt zu verbergen? Das ist sehr neunzehntes Jahrhundert, meine Liebe, um nicht zu sagen achtzehntes. Und dabei steht nicht einmal eine fabel-hafte Erbschaft auf dem Spiel. Wenn es etwas zu erben gab – was wir nicht wissen –, dann kannst du bei einer Familie wie den Restons sicher sein, daß es getreu der Tradition an den ältesten Sohn ging, und
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