Tödliches Experiment: Thriller (German Edition)
Summen elektronischer Apparaturen war zu hören. Das künstliche Dämmerlicht wurde von den pulsierenden roten und grünen Lichtern der Überwachungsgeräte durchbrochen.
Die fünf EGs, die von chirurgischen Zangen über den lebenserhaltenden Apparaturen unbeweglich festgehalten wurden, bildeten einen Halbkreis: Helen, Thurston, Rachel, Annette und John Flemming.
Sie nutzten diese Zeit gewöhnlich, um eine Art Gruppentherapie abzuhalten. Indem sie einander ihre Befürchtungen und Ängste oder auch ganz banale Gedanken mitteilten, fanden sie einen gewissen Trost und linderten den Alptraum, den sie alle zusammen und jeder für sich durchlebten.
Annette aber hatte überhaupt nicht gesprochen, sie schien gänzlich mit sich selbst beschäftigt zu sein, und die nie sehr taktvolle Rachel sagte plötzlich: „He, was ist denn heute mit Gottes Auserwählter los?“ Annette wartief religiös und Rachel, eine erklärte Atheistin, ärgerte sie gerne.
„Nichts.“ Es war ein kaum hörbares Flüstern.
„Verdammter Unsinn!“ Rachels schmales Gesicht hatte einen verächtlichen Ausdruck. Sie war Fernsehjournalistin gewesen, bevor sie ein tödliches Krebsgeschwür bekommen hatte. Man hätte sie beinahe als schön bezeichnen können, wären da nicht eine gewisse Schärfe und eine gewisse feministische Feindseligkeit gewesen.
„Du verbirgst etwas“, warf Helen etwas sanfter ein. „Und wir waren doch übereingekommen, gerade das nicht zu tun.“
Annette sah betroffen drein. Vor der Operation war sie Bankangestellte gewesen. Bei einem fehlgeschlagenen Bankraub war sie als Geisel genommen worden und hatte drei Schüsse in lebenswichtige Organe abbekommen; danach war sie in Michaels Hände geraten.
„Sag es uns“, drängte Thurston. „Dann wirst du dich besser fühlen.“
„Ist es deswegen, weil wir abgehört werden?“, fragte Helen.
Annette blickte starr vor sich hin, dann blinzelte sie – das Zeichen, das sie alle an Stelle eines Nickens verwendeten.
„Ach was“, sagte Rachel. Ihre Augen blitzten. „Können sie dir etwas noch Schlimmeres antun, als sie bereits getan haben?“
„Das können sie und das weißt du auch“, sagte Helen kurz. „Sie können strafen.“
Rachel verstummte. Ebenso wie John hatten sie alle die entsetzlichen Qualen durchgemacht, die ein Strom von einem halben Milliampere verursachte, wenn er durch eine in der Nähe eines Schmerzrezeptors implantierteElektrode geleitet wurde. Genauso, wie auch sie alle mit der – vor den Augen aller anderen – peinlichen Ekstase eines scheinbar endlosen Orgasmus’ belohnt worden waren.
Thurston richtete seine Augen auf Annette. „Glaubst du, dass du etwas zu sagen hast, wofür man dich bestrafen würde?“
„Versuch es“, sagte Rachel. „Sie werden es schon nicht hören.“
Die Augen der anderen folgten dem Blick, den sie auf die jetzt dunkle, matte Fläche des Beobachtungsfensters warf, durch das sie gewöhnlich vom Steuerpult her genau überwacht wurden. Im Lauf der Monate hatten sie festgestellt, dass der diensthabende Pfleger während ihrer nächtlichen Ruhezeit sein Abhörgerät gewöhnlich ausschaltete und sich ebenfalls ausruhte.
Da brach es aus Annette hervor: „Es ist Peggy. Sie hat Theater gespielt. Sie hielt es nicht mehr aus. Sie fand, dass es nirgends schlimmer sein kann, wo immer man uns auch hinbringt. Sie zog eine Show ab. Ich bat sie, es nicht zu tun.“
Rachel rief in die darauf folgende Totenstille. „Ach Gott, diese dumme, kleine Gans!“
„Wir wissen ja nicht, ob es so schrecklich ist“, sagte Helen.
Es war offensichtlich, dass sie bloß versuchte, es allen leichter zu machen, aber Rachel spielte nicht mit. „Sei nicht so dumm“, zischte sie. „Wenn es nicht schrecklich ist, warum erzählen sie uns dann nie etwas darüber?“
„Ich glaube nicht, dass sie uns irgendwo hinbringen“, flüsterte Annette. „Ich glaube, dass Peggy tot ist. Ich glaube, sie bringen uns einfach um.“
„Still“, sagte Richter Thurston sanft. „Du kennst dieRegeln.“ Sie hatten den eisernen Grundsatz aufgestellt, nicht über den Tod zu sprechen, mit dem sie alle so unmittelbar konfrontiert waren. Davon zu reden, steigerte nur die Verzweiflung.
John sagte nichts. Er erinnerte sich an Peggy, wie sie gewesen war, bevor sie zu einem entsetzenerregenden, tierischen Etwas geworden war, das mit verzerrtem, unmenschlichem Gesicht vor Schmerz und Verzweiflung heulte. Er fragte sich, ob Annette recht hatte. Vielleicht war Peggys Wahnsinn
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