Tödliches Labyrinth
“Er schlief während der Fahrt ein. Sonst hätte er sicher Ärger gemacht, weil ich nicht mit ihm durch die Wüste fuhr, um nach seinem Haus und seiner Frau zu suchen, sondern ihn geradewegs ins nächste Krankenhaus in die Notaufnahme brachte.”
“Und welches Krankenhaus war das?” Leah biss sich vor Verärgerung fast auf die Zunge, als sie merkte, wie schneidend ihr Tonfall geworden war. “Ich … ich meine,
mich
hätte es interessiert, was aus dem alten Mann geworden ist. Sie nicht?"
“O doch. Hin und wieder muss ich an ihn denken, und dann stelle ich mir immer die Frage, ob ich nicht später noch einmal zum Our Lady of Mercy Hospital hätte fahren sollen, um nach ihm zu sehen. Aber letztlich war ich nicht für ihn verantwortlich. Ich hatte für ihn getan, was ich konnte. Mehr war unter den Umständen nicht möglich gewesen. Alles Weitere hätte ich nur getan, um meine Neugier zu stillen.”
“Ich verstehe.”
Leah musste sich zwingen, sich nichts anmerken zu lassen. Das Our Lady of Mercy Hospital und ein verrückter alter Mann, der sich für Merritt Marlowe hielt. Viel war das nicht, aber es war weitaus mehr als das, was sie noch vor wenigen Minuten gewusst hatte.
9. KAPITEL
G eburtsstunde einer Spionin
Leah hatte keine großen Probleme gehabt, in das Computersystem des Our Lady of Mercy Hospital einzudringen. Die Suche in der Datenbank ergab, dass in dem Jahr, in dem sich Hawk um eine Stelle bei Marlowe Micronics, Incorporated, beworben hatte, insgesamt sechs Männer eingeliefert worden waren, deren Namen man nicht kannte. Drei von ihnen waren kurz nach der Aufnahme gestorben, zwei waren viel zu jung, als dass es sich bei einem von ihnen um Merritt Marlowe hätte handeln könnte, und der sechste war nach einer stationären Behandlung entlassen worden.
Leah seufzte schwer, während sie den Computermonitor betrachtete. Trotz aller Hoffnungen, die sie sich gemacht hatte, war sie dem Anschein nach ihrem Ziel noch immer keinen Schritt näher gekommen. Die Geschichte von dem Verrückten, der sich für Merritt Marlowe gehalten hatte, war in keiner Weise hilfreich gewesen.
Erschöpft fragte sie sich, was sie wohl übersehen haben mochte und welche anderen Wege sie stattdessen einschlagen sollte. Wenn ihr Großvater wirklich noch am Leben gewesen war und es geschafft hatte, aus seiner Gefangenschaft zu entkommen, und bei der Flucht einen solchen Vorsprung herausgeholt hatte, dass er von Hawk auf dem Highway aufgelesen werden konnte, dann musste das Konsortium in heller Aufregung nach ihm gesucht haben. Niemand vermochte zu sagen, was er erzählen oder machen und ob ihm jemand seine Geschichte abkaufen würde.
Was hätten diese Männer als Erstes unternommen, nachdem ihnen aufgefallen war, dass Merritt Marlowe entkommen war? Leah versuchte, sich diese Situation aus der Sicht des Konsortiums vorzustellen. Die Männer hätten sicher bei allen Polizeiwachen und Krankenhäusern nachgefragt, ob ihr Gefangener irgendwo aufgetaucht war. Es handelte sich um wichtige, einflussreiche Personen, die vermögend waren, effizient arbeiteten und notfalls über Leichen gingen. Sie hätten zweifellos eine glaubwürdige Geschichte zur Hand gehabt, falls jemand hartnäckige Fragen stellte.
Ganz sicher hatten sie für ihren Gefangenen eine falsche Identität geschaffen, einschließlich Fälschungen aller notwendigen Dokumente, für den Fall, dass er doch einmal seinen Bewachern entkam und auch die anderen Sicherheitsmaßnahmen umging. Auf diese Weise hätten sie keine Probleme, Merritt Marlowe als einen alten und senilen Verwandten auszugeben, der sich einfach nur für den berühmten Milliardär hielt.
Es war ohne jeden Zweifel oberstes Gebot für diese Männer gewesen, den Entflohenen aufzuspüren und zurückzuholen. Sie konnten es sich nicht erlauben, ihn einfach durch die Gegend rennen zu lassen, auch wenn jeder davon überzeugt war, dass er längst den Verstand verloren hatte. Also musste mindestens einer dieser Männer ins Our Lady of Mercy gekommen sein, um Merritt Marlowe abzuholen.
Leah überlegte, ob sie die Sache vielleicht völlig falsch anging. Anstatt nach Patienten zu suchen, deren Name nicht bekannt war, müsste sie die Datenbank nach allen älteren Patienten durchforsten, die in dem Zeitraum in die Notaufnahme gebracht worden waren.
Das bedeutete zwar, dass sie vermutlich deutlich mehr Namen ausgeworfen bekam, doch sie musste im Höchstfall die Daten für dreißig Tage durchsuchen – und das auch nur, um
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