Tödliches Lachen
Bis heute weiß niemand, ob seine ersten Opfer Huren waren, denn Ende des 19. Jahrhunderts steckte die polizeiliche Ermittlungsarbeit noch in den Kinderschuhen. Die Daktyloskopie war noch nicht anerkannt, DNA-Analysen waren noch hundert Jahre entfernt, die Gerichtsmediziner waren häufig rechte Metzger, von denen viele ihr Handwerk nur sehr unzureichend beherrschten.
Niemand hat ihn je offiziell zu Gesicht bekommen, was nicht heißen will, dass es nicht doch ein paar Personen gab, die ihn kannten, aber schwiegen, was seine Identität betraf, denn es kursiert lange das Gerücht, dass es eine hochgestellte Persönlichkeit gewesen sein soll. Es gibt auch einige sehr waghalsige Hypothesen, wer sich hinter dem Ripper verborgen haben könnte, unter anderem von der Krimiautorin Patricia CornweIl, die behauptet, dass es angeblich der deutsche Maler Walter Sickert gewesen sei, aber da hat sich die Dame ein bisschen sehr weit aus dem Fenster gelehnt, denn hieb- und stichfeste Beweise kann sie nicht vorlegen, nur Hypothesen. Auch haben weitere Untersuchungen ergeben, dass er zu neunundneunzig Prozent als Täter ausscheidet… «
»Und was bitte schön hat das mit diesem Fall zu tun?«, fragte Kullmer leicht gereizt.
»Sorry, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass unser Mann sich den Ripper als Vorbild ausgesucht hat«, entgegnete Durant und zündete sich eine weitere Zigarette an.
»jetzt beruhigen Sie sich mal alle wieder. Ich stimme Ihnen zu«, sagte Berger an Durant gewandt und lehnte sich zurück, die Hände über dem Bauch gefaltet. »Und ich gehe ebenfalls stark davon aus, dass es sich um unsern Mann vom Winter handelt. Und ich frage mich ebenfalls, warum er so lange stillgehalten hat.«
Kullmer löste sich vom Fenster und stellte sich in die Mitte des Zimmers. »Warum er so viel Zeit verstreichen ließ, bis er wieder mit dem Morden anfing, das weiß nur er. Vielleicht hat er sich im Ausland aufgehalten, hat eingesessen oder war anderweitig verhindert, wir können diese Frage jedenfalls nicht beantworten … «
»Aber warum hat er seine Vorgehensweise geändert?«, fragte Hellmer. »Es gibt Parallelen zu den vier vorangegangenen Morden, aber auch Abweichungen.«
»Er hat im Winter nur geübt«, bemerkte Kullmer lapidar, steckte sich einen Kaugummi in den Mund und begab sich auch an die Tafel. »Er weiß jetzt, dass diese Methode die ultimative ist. Das verschafft ihm den größten Kick. Wenn wir die Morde vorn ersten bis zum vierten durchgehen, was fällt uns da auf? Die Weiland hatte Geschlechtsverkehr, allerdings benutzte ihr Partner ein Kondom. Ob er auch ihr Mörder ist, wissen wir nicht. Was wir aber definitiv wissen, ist, dass sie erstochen und im Wald an einer eher uneinsehbaren Stelle abgelegt wurde. Und sie scheint völlig unbemerkt von ihrer Umgebung ein Doppelleben geführt zu haben. Punkt.«
»Stopp«, unterbrach ihn Durant, »das mit dem Doppelleben haben wir schon ausführlich durchdiskutiert, aber es ist vorerst nur eine Vermutung, Beweise haben wir nicht.«
»Ich bitte dich, es deutet doch alles darauf hin. Aber egal, kommen wir zur Frey. Sie ist das einzige Opfer, das aufgeschlitzt wurde, nur wurden ihr keine Organe entnommen. Aber ihr wurde im Gegensatz zu den andern das Gesicht zerschnitten. Und sie war eine ganz offiziell registrierte Hure. Nummer drei, Sibylle Kröger. Fett, aufgedunsen, Alkoholikerin, arbeitslos, hat die meiste Zeit entweder vorm Fernseher oder vorm Computer verbracht. Möglicherweise hat sie so auch ihren Mörder kennengelernt. Auf jeden Fall keine Frau, auf die Männer stehen. Auch sie wurde nicht verstümmelt, nur erstochen. Und zu guter Letzt Liane Heuer. Verheiratet, Zahnärztin mit eigener Praxis in Schwanheim, die ihrem Mörder, wie es nach dem bisherigen Ermittlungsstand aussieht, zufällig über den Weg gelaufen ist, nachdem sie ihre Eltern besucht hatte, ihr Auto aber wegen einer Baustelle zweihundert Meter vom Elternhaus entfernt parken musste. Erstochen und die Kehle durchgeschnitten. All das lässt mich eben zu dem Schluss kommen, dass unser Täter zwischen Januar und März nur geübt hat. Danach ließ er eine Zeit verstreichen, bis er wieder zugeschlagen hat.«
»Aber warum hat er sich Anfang des Jahres nicht gemeldet?«, fragte Seidel. »Er hat weder eine Mail noch einen Brief geschickt, von einem Foto oder Video ganz zu schweigen.«
Kullmer zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber wahrscheinlich gehört das zu seinem Spiel. Er muss sich verdammt
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