Tödliches Orakel
gehen Sie raus, rauchen Sie eine. Wenn Sie wieder kommen, will ich, dass Sie kooperativ sind. Wenn nicht, war es das.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Und aschen Sie nicht in die Rosen«, fügte ich hinzu, dann schaltete ich den Monitor ab.
***
Er rauchte zwei Zigaretten, wie Frau Berger mir berichtete.
»Tut mir leid«, sagte Sam, als er wieder vor dem Monitor Platz genommen hatte. »Ich ... Das ist ungewohnt.«
»Was ist ungewohnt?«
»Hier zu sitzen.«
»Nein. Sitzen können Sie, schon seit vielen Jahren. Es ist neu für Sie, Angst zu haben.«
Stille, dann nickte er und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Ja.«
»Können wir weiter machen?«, fragte ich, er nickte erneut.
»Ja.«
»Und Sie werden so detailliert und ausführlich antworten, wie Sie können?«, fügte ich hinzu, denn ich hatte mir fest vorgenommen, Sam bei der nächsten frechen oder einsilbigen Antwort dahin zu verfrachten, wo er sich ja offenbar wohler fühlte als auf der Couch in meinem Konsultationszimmer: auf die Straße vor Frau Bergers Haus.
Sam seufzte. »Ja. Aber bevor Sie mehr Fragen stellen ... sollte ich Ihnen was erzählen. Etwas ... Neues.«
»Gut. Gerne.«
»Ich war eben in Tobias Wohnung. Bevor ich zu Ihnen gefahren bin.«
Das war nicht ganz das, was ich mir erwartet hatte, aber trotzdem interessant.
»Woher hatten Sie den Schlüssel?«
»Er steckte in der Hosentasche. Sein ganzer Schlüsselbund. Den kenne ich, er hat einen Anhänger dran, den er sich in New York gekauft hat. Dieses Logo der Polizei, NYPD. Es sind nicht viele Schlüssel dran. Wohnung, Auto, Keller. Briefkasten. Und so ein Chip, wahrscheinlich für die Arbeit.«
Sam machte eine Pause, sah auf das von Frau Berger auf Hochglanz polierte Parkett.
»Jemand hat die Wohnung ... auf den Kopf gestellt«, fuhr er dann fort. »Es sieht aus wie nach einem Tornado. Bücher auf dem Boden, Schubladen stehen auf, Schränke sind ausgeräumt, Klamotten überall verstreut.«
»Sah es aus, als habe da jemand gewütet? Oder eher was gesucht?«
Sam zögerte. »Gesucht. Würde ich sagen. Die Sachen waren nicht kaputt, es war nichts beschmiert. Tobias hatte ziemlich viel Computer-Zeug. Einen Desktop, zwei Laptops, mindestens. Ein iPad – er hat damals in der Schlange gestanden, beim Verkaufsstart. Mehrere Handys. Das war alles weg. Aber auch nur das. Fernseher, Musikanlage und so waren noch da. Ich weiß, dass die Wohnung aufgeräumt war. Tobias war ein ordentlicher Typ.«
Eher ein Typ mit einem ordentlichen Problem, dachte ich, hütete mich aber, das laut auszusprechen: Sam war empfindlich, wenn es um seinen toten Freund ging. Schuldgefühle? Wahrscheinlich, denn es war durchaus möglich, dass er ihn mit einem harmlosen Anruf zum Tode verurteilt hatte.
»Und noch etwas war komisch«, fuhr Sam fort. »Ich habe seinen Briefkasten leer gemacht, weil der total übergequollen ist. Tobias hatte eine Tageszeitung abonniert, und es steckten neun Stück drin. Der Briefträger hat sie schon oben drauf gestapelt.«
»Was bedeutet, dass Tobias seit neun Tagen nicht mehr zuhause war.«
Sam zuckte mit den Schultern. »Nicht unbedingt. Vielleicht war er ja auch im Urlaub, er hat mal erzählt, dass er Tauchen gehen wollte.«
Ich dachte an Tobias totes, von den Schlägen und dem Wasser gebrochenes Gesicht in meinem Pool: sein letzter Tauchgang. Dann stutzte ich, denn das, was Sam da erzählt hatte, harmonierte nicht ganz mit dem, was ich bislang wusste.
»Aber Sie haben doch mit ihm telefoniert. Nachdem Sie bei mir waren, wegen meiner Handynummer. Und da war er nicht im Urlaub. Oder irgendwo untergeschlüpft, weil seine Wohnung total verwüstet war.«
»Telefoniert? Ja. Nein.« Sam sah mich an. »Ich habe versucht, ihn anzurufen, klar. Aber er hat nicht abgenommen. Beim dritten Mal habe ich ihm einfach was auf die Mailbox gequatscht.«
»Was genau?«
»Wo steckst du denn, du musst mir einen Gefallen tun, ich brauche eine Telefonnummer, sag jetzt nicht, dass das nicht geht ... So in der Art. Und ich habe gesagt, er solle mich anrufen, ich müsste ihm was Hammerhartes erzählen.«
Ich brauchte ausnahmsweise kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass er die Story mit mir und der Karte gemeint hatte.
»Und er hat zurückgerufen.«
»Nein. Aber ich habe eine SMS bekommen.«
Eine SMS? Nur eine SMS? In mir dämmerte etwas, die Ahnung der Möglichkeit einer Idee.
»Lesen Sie mir die SMS vor?«, bat ich, während ich auf der Idee herumdachte, sie auf
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