Tödliches Orakel
aus, aber ich weiß nicht, ob das an den Schlägen lag oder daran, dass er ... schon verwest.«
»Richtig«, sagte ich, »das wissen wir nicht. Dass er nicht zu dem Treffen gekommen wäre, hätte auch an einer Autopanne, einer Grippe oder sonst etwas liegen können. Aber es sieht alles danach aus, dass nicht Sie Schuld an Tobias Tod sind, sondern dass vielmehr er Schuld daran trägt, dass Sie jetzt diesen Ärger haben. Es begann bei ihm.«
Sam nickte, wenn auch sichtlich nicht völlig überzeugt. Und mir fiel noch etwas ein. Leider etwas, das mein ganzes schönes Theorem wieder in sich zusammenstürzen ließ.
»Eine Sache passt da nicht hinein«, sagte ich zögernd. »In den Ablauf. Dass man sich erst an Tobias gehalten hat und danach auf Sie zugekommen ist. Wegen was auch immer.«
Sam sah mich fragend an. »Nämlich?«
»Nun, ich habe Ihnen ja schon angedeutet, dass ich auf Monate ausgebucht bin. Es kann also niemand innerhalb von ein paar Tagen einen Termin bekommen. Freitags Tobias umbringen, hier anrufen und Ihnen einen Termin für Montag beschaffen, das ist unmöglich.«
Ich konsultierte meine Kundenliste, denn ich hatte die Daten nicht mehr im Kopf, auch wenn ich sie neulich für Sam schon nachgelesen hatte. »Ihr Termin wurde Anfang März ausgemacht, ein paar Tage später kam das Geld.«
»Also wusste jemand bereits im Frühling, dass er im Sommer Tobias killt und mich dann am 10. August?«
»Nein.«
»Nein?«
»Das glaube ich nicht. Warum im März planen, dass man Ende Juli Tobias Wohnung durchsucht? Und kurz darauf Sie mit einer Morddrohung zu mir schickt? Das ist ein zu langer Zeitraum. Es kann zu viel passieren. Wenn jemand schon im März gewusst hätte, dass er Sie am Montag bei mir sehen wollte, dann hätte er Ihnen die Karte viel früher geschickt. Damit Sie sich den Termin wirklich freihalten.«
»Also?«
»Also hat jemand an meinen Kundendaten rumgepfuscht. Und Sie mir untergeschoben.«
***
Es kostete mich einen Anruf, das zu klären.
»Und?«, fragte Sam, nachdem ich mich wieder zugeschaltet hatte. Ich war sauer. Stocksauer. Und versuchte erst gar nicht, das mit einem halbherzigen Kundenlächeln zu kaschieren.
»Sie haben mich in eine unmögliche Lage gebracht«, knurrte ich, aber Sam sah nicht sehr schuldig drein.
»Ich habe gerade mit einem gewissen Herrn Brunner gesprochen«, fuhr ich fort. »Er stammt aus Liechtenstein, ihm gehört das Bankhaus Tobel. In vierter Generation.«
»Und? Klingt nicht, als hätte er ein sehr schweres Leben.«
»Herr Brunner macht sich Sorgen um die Entwicklung seines Hauses angesichts der noch immer besorgniserregenden Weltwirtschaftslage. Er hat den Termin im März persönlich ausgemacht, auf Empfehlung einer von mir sehr geschätzten Stammkundin. Seine Stimme passt zu dem, was Frau Berger notiert hat: angenehm, freundlich, mit starkem Schweizer Akzent.«
Sam kratzte sich unbeeindruckt am Hals, was die Wut in mir brodeln ließ. Auf kleiner Flamme, aber dennoch.
»Herr Brunner hat an eben jenem schicksalsträchtigen Freitag einen Anruf erhalten, von einem Herrn, der sich als mein Mitarbeiter ausgegeben hat«, fuhr ich fort. »Dieser Herr hat den Termin abgesagt und das Geld zurück erstattet. Herr Brunner war enttäuscht, sehr enttäuscht. Er hatte seinen Flug schon gebucht, sich ein Hotelzimmer reserviert. Er hat dreimal versucht, mich zu erreichen, um einen anderen Termin auszumachen, aber mein angeblicher Mitarbeiter hat ihn abgewimmelt. Am Ende sogar bedroht. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Dass Sie sich in den nächsten Monaten beim Shoppen ein bisschen einschränken müssen?«
Ich funkelte böse in die Kamera. »Sam, reden Sie keinen Scheiß.«
Es nervte mich, dass er nicht mit dem nötigen Ernst bei der Sache war. Außerdem wusste er, dass die Sitzung bezahlt worden war, das hatte ich ihm gesagt. Ich hätte ihn gar nicht empfangen, wenn das anders gewesen wäre – nein, mein Kontostand machte mir keine Sorgen.
»Das bedeutet, dass jemand in meinem Computer rumgeschnüffelt hat. Im Terminkalender und in der Kundendatenbank«, sagte ich, aber das war noch nicht alles. »Herr Brunner hat immer die Nummer gewählt, die auf meiner Visitenkarte angegeben wurde, aber er hat immer mit diesem ihm unbekannten Herrn gesprochen. Also hat da jemand meine Anrufe gefiltert. Und die von Herrn Brunner umgeleitet. Frau Berger hat in der letzten Woche neue Termine entgegengenommen, das Telefon hat demnach für alle anderen Anrufer absolut
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