Tödliches Orakel
korrekt funktioniert.«
»Krass«, warf Sam jetzt fast beeindruckt ein, aber ich war noch nicht fertig.
»Die Gebühr für die abgesagte Sitzung wurde Herrn Brunner zurückerstattet, allerdings nicht von dem Konto, auf das er sie überwiesen hat. Nicht von meinem Konto.«
Ich schwieg, und langsam schien Sam zur geistigen Mitarbeit bereit zu sein, denn sein Gesicht hatte jetzt einen interessierten Ausdruck.
»Von meinem auch nicht«, sagte er, »ich hätte gemerkt, wenn mir zehntausend fehlen würden.«
»Richtig. Nicht von meinem, nicht von Ihrem, sondern vom Konto eines gewissen Tobias Braun. Hieß Ihr toter Freund mit Nachnamen Braun?« Sam nickte, und ich musste mich beherrschen, damit die Wut meine Stimme nicht brechen ließ. »Ich habe mich bei Herrn Brunner entschuldigen müssen. Zum ersten Mal musste ich mich bei einem Kunden entschuldigen. Für eine Sache, für die ich absolut nichts kann. Und ich habe ihm natürlich einen neuen Termin gegeben. Nächste Woche, obwohl ich da schon drei Kunden habe. Das ist alles Ihre Schuld.«
Sam starrte mich an, aber schuldbewusst sah er nach wie vor nicht aus. Ich hatte seinen Egoismus satt und fand mein Zimmerchen auf einmal viel zu eng und viel zu stickig: Ich schaltete Kamera und Mikrofon aus und ging diesmal selber eine Zigarette rauchen, hinten im Garten. Sam ging vorn raus, was Frau Berger in doppelte Besorgnis um die Rosen und den Rasen brachte.
***
Wir hätten gleich drinnen rauchen können, dachte ich, als Sam und ich uns eine Viertelstunde später wieder über die Monitore anstarrten: Es herrschte ohnehin dicke Luft, und das nicht nur wegen der dreißig Grad Lufttemperatur. Ich kaute darauf herum, wie weit wer auch immer gegangen war, um mich in diese Sache zu verwickeln, was indes Sam so missmutig machte, vermochte ich nicht mal ansatzweise zu erraten. Wahrscheinlich alles und jeder.
»Dann erzählen Sie mir jetzt von Tobias. Von Ihnen und Tobias«, verlangte ich. »Wenn Sie das nicht tun, ist das Gespräch beendet.«
Sam presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Ich hatte keine Lust mehr, darum zu betteln, ihm sein Leben retten zu dürfen, blickte daher nur in die Kamera und wartete, bis Sam seufzte und sich im Sofa zurücklehnte.
»Wie schon gesagt: Wir kennen uns von der Uni. Wir sind im gleichen Semester angefangen, unsere Zimmer im Wohnheim lagen zufällig nebeneinander. Wir haben uns zusammengetan.«
Pause. Eine lange Pause.
»Mehr. Sonst breche ich ab und schaue, ob mein Pool schon leer ist«, sagte ich. Sam verschränkte die Arme vor der Brust, sprach aber weiter – in einem Tonfall, der trotzig war, trotzig und unwillig.
»Im Wohnheim hat's ein Jahr später gebrannt, weil irgendein Idiot den Herd angelassen und ein Handtuch draufgeschmissen hat. Mein Zimmer ist komplett ausgebrannt, das von Tobias war angekokelt. Unbewohnbar. Wir haben uns dann eine Wohnung gesucht, haben eine WG gegründet. Für vier Jahre. Nach dem Abschluss bin ich nach Berlin gegangen, weil ich einen Job bekommen habe, er nach Frankfurt. Dann bin ich vor einem Jahr hierher gezogen, er kam vor drei Monaten nach. Zufall, ein neuer Job. Seitdem sehen wir uns wieder häufiger.« Er stockte. »Sahen. Sahen wir uns häufiger.«
»Okay. Und Tobias arbeitete bei einer Telefonfirma?«
»Ja. Eigentlich immer schon. Erst beim deutschen Ableger einer spanischen Firma. Seitdem er hier ist für eine andere. Die mit dem Frosch und der Fliege in der Werbung, ich habe vergessen, wie sie heißt. 'Schnappen Sie sich die günstigsten Tarife'. Nervig.« Er hielt inne, wieder traf mich sein fragender Blick. »Glauben Sie wirklich, es geht eigentlich um Tobias?«
»Wäre es Ihnen anders lieber? Fühlen Sie sich unwichtig oder zweitrangig, wenn ich das so oft sage?«
»Quatsch.«
»Gut. Entweder geht es um Tobias oder man hat ihn nur umgebracht, um Sie zu warnen. Um Sie von der Dringlichkeit der Sache zu überzeugen. Aber auch das mit den Telefonen halte ich für einen Hinweis: Ihr Freund hat für eine Telefonfirma gearbeitet, jemand hat für Sie meine Nummer herausgefunden und an meiner Leitung rumgepfuscht. Oder sind Sie ebenfalls in dieser Branche tätig?«
»Nein.«
»Und so wie es aussieht, ist das Ganze bei Tobias losgegangen. Siehe Beweisstück A: die Zeitungen im Briefkasten.«
»Nur einen einzigen Tag früher. Freitag bei ihm, Samstag bei mir.«
Ich nickte. »Wir wissen nur von dem einen Tag, richtig. Hat Tobias Ihnen anvertraut, dass er Probleme
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