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Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kostete ihn Überwindung, durch den Raum zu gehen und das Täschchen in die Hand zu nehmen. Er preßte es gegen die Wange. Dann ließ er den Bügel aufschnappen und nahm den sanften Parfumduft auf, der in seine Nase stieg: Arpège … Er atmete tief durch, und nun spürte er den Schmerz an der rechten Seite. Der Kerl hat dir die Rippe geprellt! »Vielleicht hat Ihre Frau irgend jemand getroffen, einen alten Bekannten …«
    Dieser Scheißtyp!
    Und wie war das? »Wissen Sie, Ferienzeiten lösen bei vielen Menschen einen ganz besonderen Zustand aus, eine Art Freiheitssehnsucht. Die veränderte Umgebung, das Klima … Wir haben da unsere Erfahrungen.«
    So ein dreckiger Lump! Vielleicht war's nicht richtig, sofort zuzuschlagen, doch sollte er das auch noch bereuen? Nicht daran denken … Konzentriere dich!
    Er drückte den Verschluß wieder zu und legte die Tasche so vorsichtig zurück, als sei sie aus zerbrechlichem, dünnem Glas.
    Vielleicht hatte sie doch das neue Kleid anziehen wollen und deshalb die Tasche aus dem Schrank oder dem Koffer genommen? Sonst würde diese ja nicht hier liegen? Schließlich gehörte sie zum Kleid … Und dann hatte sie es sich anders überlegt?
    Doch was?
    Was hatte sie gedacht?
    Himmelherrgott noch mal: Was war in ihr vorgegangen, welchen Wunsch, welches Ziel hatte sie verfolgt? Wollte sie nicht etwas zum Essen mitbringen?
    Als Tim sich bückte, um den kleinen Zimmerkühlschrank zu öffnen, stach ihm der Schmerz zwischen die Rippen. Er preßte die Lippen zusammen und zog die Türe auf: Getränke. Büchsen. Fruchtsäfte. Zwei Piccolo-Flaschen Champagner. Weiß- und Rotwein.
    Und daneben die Büchse mit der Pâté, die sie in Pollensa gekauft hatte. Und etwas in Silberfolie verpackter Schinken. – Dies alles so unberührt, als sei es von ihr soeben, vor weniger als einer Minute, hier verstaut worden.
    Er schlug die Türe wieder zu und betastete vorsichtig seinen schmerzenden Körper. Er schloß die Augen und versuchte nachzudenken. Nichts. Nichts als das Gefühl, das er aus Alpträumen kannte: Dieses schreckliche Gefühl, im Treibsand, schlimmer noch, im Moor zu versinken, unaufhaltsam, tiefer, tiefer, unter den Füßen, die er nicht mehr bewegen konnte, nichts als schwarzer, zäher Sumpf …
    Nicht durchdrehen! Wie oft hatte er sich das schon befohlen? Reiß dich endlich zusammen! Er ging zum Fenster und preßte die heiße Stirn gegen das Glas. Er hatte Schmerzen, gut – nun wurde er sich bewußt, daß er auch Hunger empfand. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Was du brauchst, ist deine Kraft. Diese Sache durchzustehen ist nicht allein eine Frage der Moral oder des Verstandes, es hat etwas mit der Physiologie zu tun, mit der simplen Tatsache, die ihm sein medizinischer Instinkt meldete, daß er Kohlehydrate, Eiweiß und Fett brauchte, wenn er über die Runden kommen wollte.
    Er ging zum Telefon und wählte die Nummer sieben.
    »Room-Service«, meldete sich eine Männerstimme.
    »Bringen Sie mir eine Suppe und Weißbrot, ja? Und zwei Spiegeleier mit Schinken.«
    »Sehr wohl. Aber welche Suppe?«
    »Verdammt noch mal, ist mir vollkommen egal. Hühnercreme vielleicht. Und verbinden Sie mich mit dem Empfang, Herrn Pons.«
    »Tut mir leid, Señor. Aber von hier unten ist das nicht so einfach. Wenn ich Sie bitten darf, nochmals die Nummer eins zu wählen …«
    Er warf den Hörer auf die Gabel, griff fahrig in die Tasche, um sich eine von Melissas Zigaretten herauszuholen. Eine der letzten drei aus der zerknautschten Schachtel. Aber er brauchte sie. Wie lange hast du gekämpft, um das Teufelszeug loszuwerden? Vier, nein, fünf Jahre …
    Und jetzt? Jetzt kommt's nicht mehr darauf an. Wieso auch? Jetzt ist das nicht wichtig. Nichts mehr ist wichtig.
    Die Tür zum Schlafzimmer – halb offen!
    Tim starrte sie an, und in ihm erwachte eine Empfindung, die sich wie eine hochschießende Stichflamme zu einer aberwitzigen Hoffnung verdichtete: Wenn sie vielleicht …?
    So wie damals?!
    Damals, als er noch in der Essener Klinik arbeitete, wollte er seinen jüngeren Bruder Christian besuchen. Im Studentenheim erhielt er die Nachricht: »Die Polizei hat angerufen. Christian hatte einen Motorradunfall. Tot. Wirbelsäulenfraktur.«
    Tim war alle Krankenhäuser abgefahren, schließlich die Friedhöfe, und als er in die Klinik zurückkam, läutete das Telefon. Am Apparat war Christian: »Hast dir aber ganz schön in die Hosen gemacht, Alter, was? Irrtum! Ich bin quietschfidel. War nur 'ne

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