Tödliches Paradies
werden deshalb hier am Empfang ein Foto aufliegen lassen. Mit dem entsprechenden Text, versteht sich. Direktor Bonet fand diese Idee zwar nicht sehr gut, Sie wissen doch, in einem Ferien-Hotel hat man Rücksichten zu nehmen, aber Pab hat darauf bestanden.«
»Pab?«
»Pablo Rigo. Der Chef der Guardia Civil. Er ist bereits hier mit seinen Leuten. In einer Viertelstunde soll die Suche im Park beginnen. Ich sagte Ihnen doch, Rigo ist ein tüchtiger Mann.«
»Ja, unglaublich tüchtig …« Tim hatte Mühe, sich zu beherrschen.
»Übrigens, da kommt er gerade.«
Tatsächlich. Die Hände wie immer in seinen Baumwollgürtel gehakt, schaukelnd, gemächlich wie ein Bauer, der über sein Feld stapft, schob sich Rigo durch die Gäste, die respektvoll vor ihm zurückwichen. Erst jetzt fiel Tim auf, wie groß der Mann war. Er selbst maß ein Meter fünfundachtzig, dieser Rigo stand ihm nicht viel nach, nur daß er doppelt soviel wiegen mußte.
»Buenos dias!« Er tippte mit dem Zeigefinger gegen den Mützenrand. »Das Foto? Haben Sie es?«
Tim schüttelte den Kopf. »Ich geh' noch mal rauf ins Zimmer.«
»Diese Paßfotos taugen ja nichts. Eine Privataufnahme … Und noch was: Bringen Sie irgendein persönliches Kleidungsstück Ihrer Frau mit.«
»Ein persönliches Kleidungsstück meiner Frau?«
»Wir haben Hunde dabei. Sie müssen die Fährte aufnehmen, Mister.«
Das ewige ›Mister‹ ging Tim auf die Nerven. Er drehte sich um, fuhr hoch, öffnete Schränke. Ein persönliches Kleidungsstück …? Über der Sessellehne hing ein türkisblaues Seidenhemdchen: Melissas Hemdchen. Gestern noch hatte sie es getragen. Es war so zart, daß es in eine Faust paßte. Er hielt es umschlossen, als er aus der Brieftasche den Führerschein holte. In der Zellophanhülle bewahrte er eine Aufnahme. Sie zeigte Melissa in einem Korbstuhl. In der linken Hand hielt sie ein aufgeschlagenes Buch, um den rechten Zeigefinger wickelte sie eine Locke, das Gesicht war schräg dem Betrachter zugeneigt: ausdrucksvoll, so klar geschnitten, ein leichtes, fast schwebendes Lächeln um die Lippen.
Der Anblick war wie ein Messerstich.
Auch Rigo nahm das Foto mit überraschender Zartheit in die Hand, drehte es hin und her, sah ihn kurz an, nickte, und zum ersten Mal war es Tim, als habe er bei diesem Fleischkloß so etwas wie Verständnis entdeckt.
Er schob das Foto Pons zu: »Den Text kennst du ja. Stell das Ding so auf, daß es die Leute sehen, wenn sie zu dir kommen. Klar?«
Sie verließen das Hotel. Die Gruppe von zuvor war verschwunden. Bei den beiden Säulen, die die gewaltigen, schmiedeeisernen Eingangslampen trugen, parkten drei olivbraune Landrover. Männer kletterten heraus, als Rigo den Arm hob und winkte. Zwei hatten Schäferhunde dabei. Sie hielten die Tiere straff an kurzen Dressurleinen, als sie herankamen.
Rigo gab seine Befehle. Die beiden Hundeführer nickten und kamen noch näher. Die Augen der Tiere füllten sich mit konzentrierter Wachsamkeit. Sie waren auf Tim gerichtet.
»Bitte«, sagte Rigo. »Sie müssen den Geruch kennenlernen. Sie haben doch etwas dabei, nicht wahr?«
Es war eine absolut unwirkliche Situation für Tim. Er hatte das Gefühl, neben sich selbst zu stehen und eine Szene zu beobachten, mit der er nichts zu tun hatte, eine Szene, so verrückt und abwegig wie aus einem surrealen Theaterstück.
Da stand er nun, hielt Melissas Seidenhemdchen den schwarzen Schnauzen zweier Spürhunde entgegen. Und die schnüffelten auch noch schweifwedelnd und fröhlich daran herum …
»Dort drüben«, sagte Rigo und hob den Arm, »sehen Sie den grauen Strich? Das ist die Straße nach Casas Veyas. Die geht dann weiter bis zum Cap und zum Leuchtturm. Aber warum sollte sie die Straße genommen haben? Wenn sie hier weg wollte, dann schon in Richtung Puerto Pollensa.«
Tim saß auf einem großen Sandsteinfelsen. Er hatte die Augen geschlossen. Hier in dieser Höhe war bereits die Kraft der Sonne zu spüren. Wie lange waren sie unterwegs? Eine halbe Stunde, vierzig Minuten, vierzig Ewigkeiten …
Der Wind strich durch die Zweige der wilden Oliven. Weiter rechts hörte man Steine über den Berg kollern, die die Polizisten losstießen. Und ab und zu das hechelnde Winseln einer der beiden Hunde. Sie hatten den Park durchkämmt. Und nichts gefunden. Nichts – was bedeutet dieses Wort? Was war ›nichts‹?
»Hören Sie, was ist, wenn meine Frau vergewaltigt wurde? Wenn sie irgendein Kerl angefallen und sie irgendwo an irgendeinem Ort
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