Tödliches Rätsel
»Dann sagst du ihm lieber nichts davon, nicht wahr?« Er zog den Ordensbruder am Ärmel. »Komm weiter, Athelstan. Moleskin wartet, und ich bin hungrig.«
Athelstan eilte ins Haus, um die Tasche mit seinem Schreibzeug zu holen, und wanderte dann mit Sir John durch die schmale Gasse zum Fluß hinunter. Bei Merrylegs Garküche machten sie halt. Sir John kaufte sich eine Pastete und biß im Gehen hinein. Schmatzend erklärte er, Merryleg sollte für seinen Dienst am Magen eigentlich geadelt werden.
»Ihr seid so guter Dinge, Sir John«, bemerkte Athelstan und hastete neben ihm her. »Habt Ihr gut geschlafen?«
»Wie ein Schweinchen«, antwortete Cranston. »Aber nicht, weil ich einen so schönen Abend verbracht habe, Bruder.« Und er berichtete von Ollertons Tod und von seinem Zusammentreffen mit dem Vikar der Hölle.
»Von dem habe ich schon gehört«, rief Athelstan. »Es heißt, er kleide sich immer ganz in Schwarz, und sein Gesicht sei von Narben entstellt.«
»Unsinn«, antwortete Cranston. »Er ist ein munterer Gauner, der einen Advokaten überreden und einen Betrüger täuschen kann und besser lügt als der Teufel. Er hat mehr auf dem Kerbholz, als mir lieb sein kann. Die Gildenherren haben hundert Pfund Sterling auf seine Ergreifung ausgesetzt, tot oder lebendig. Aber noch keiner hat sich dieses Geld verdient. Er liebt die Damen, unser Vikar der Hölle, und sie lieben ihn. Wer ihn den Behörden verriete, würde nicht mehr lange leben.«
»Aber Ihr sagt, er wußte von unseren Schreibern vom Grünen Wachs?«
»Und noch mehr.« Cranston hatte seine Pastete aufgegessen. »Mistress Broadsheet hat mir erzählt, Alcest habe Geschäfte mit Drayton gemacht.«
»Eine feine Bande«, antwortete Athelstan.
Er blieb vor einem Bettler stehen, der an der Ecke der Gasse kauerte. Der Mann wiegte sich summend vor und zurück. Auf einem Sack vor ihm lag ein Walknochen.
»Aus der Flanke des Leviathan!« krähte der Kerl. »Des mächtigen Ungeheuers der Meere! Für einen Penny dürft Ihr ihn anfassen.«
Athelstan warf ein Geldstück auf den Sack.
»Danke, Bruder, danke. Ich habe noch mehr Walfischknochen«, rief der Mann.
Athelstan schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Coroner zu. »Mistress Broadsheet erzählt also, Alcest habe Geschäfte mit Drayton gemacht, und der Vikar der Hölle weiß von den Todesfällen unter den Schreibern vom Grünen Wachs.«
»Außerdem«, ergänzte Cranston, »wissen wir von Dame Broadsheet und ihren Mädchen, daß in der Nacht, als Chapler zu Tode kam, keiner der Schreiber das >Tanzende Schwein« verlassen hat. Und wir wissen von dem offensichtlichen Reichtum. Wie konnte Alcest sich eine dermaßen kostspielige Feier leisten? Und schließlich haben wir Ollertons Tod. Der Mörder muß im Raum gewesen sein, als Ollerton das Gift trank.«
»Und das Rätsel?«
»>Mein zweiter sitzt in der Mitte der Not«, sagte Cranston, »und ist Inhalt des Grauens. <«
Athelstan schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ergibt doch keinen Sinn. Nichts davon ergibt Sinn, Sir John. Warum wurden die Schreiber ermordet? Warum die Rätsel? Wer ist dieser geheimnisvolle junge Mann mit Mantel und Sporen, den man in der Stadt gesehen hat?«
Sie gingen zum Kai hinunter.
»Wohin gehen wir denn, Sir John?«
»Noch einmal zu Draytons Haus«, antwortete Cranston. »Gestern abend ließ der Regent mich in den Savoy-Palast holen.« Cranston blieb stehen und sog die Luft vom Fluß in seine Lungen. »Oh, er bewirtete mich fürstlich. Klopfte mir auf die Schulter und nannte mich den >Ehrlichen Jack<. Aber er will sein Geld zurückhaben, Athelstan — das Silber, das man Drayton gestohlen hat. Das braucht er dringend. Also heißt es, noch einmal zurück zu Draytons Haus.«
Sie gingen die schlüpfrigen Stufen zu Moleskin hinunter, der sie mit seinem Boot erwartete. Der lederhäutige Bootsmann begrüßte sie so vornehm, als wäre er der Kapitän eines königlichen Schlachtschiffes. Er ließ die beiden im Heck Platz nehmen, löste das Seil und setzte munter die Ruder in Bewegung, und das Boot glitt über den sonnenfunkelnden Fluß. Moleskin wußte, daß Cranston schweigen würde, und Athelstan erzählte ihm auch nie von dem Fall, den sie gerade untersuchten. Trotzdem sah der Ordensbruder am wissenden Schimmer in Moleskins Auge, daß die Kunde vom großen Wunder von St. Erconwald ihn schon erreicht hatte.
»Bevor du fragst, Moleskin«, sagte Athelstan, »jawohl, ich weiß von dem Wunder — oder von dem sogenannten
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