Toedliches Verlangen
die Schleife nachgefahren war, starrte sie auf Bastians Bild.
Himmel, er war wunderschön – als Mensch genau wie als Drache –, und ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte, es abzustreiten, sie verzehrte sich nach ihm. Es war vollkommen verrückt. Ausnahmslos dumm. Aber die nackte Wahrheit.
Mit einem Seufzen kam Myst auf die Beine und setzte sich in Bewegung. Drei Torbögen – genau wie der, durch den sie gerade gegangen war – führten tiefer in den Black Diamond hinein. Sie wählte den direkt gegenüberliegenden und trat, nachdem sie eine weitere Treppe hinabgestiegen war, in ein riesiges Wohnzimmer.
Die Decke erhob sich gut sechs Meter über dem Boden und den Möbelgruppen. Eine ganze Wand bestand aus Fenstern, durch das dunkel gefärbte Glas drang gedämpft das Strahlen der untergehenden Sonne. Myst ging um einen Billardtisch herum und lief an den Queue-Ständern vorbei, um mit der Hand über die Lehne der Couch zu streichen. Butterweiches Leder glitt über ihre Haut, während sie sich dem Kamin näherte. In weitem Bogen schwang sich die Einfassung bis hoch zur Decke. Zu beiden Seiten des massiven Sockels öffnete sich der Raum, und zwei gleiche Durchgänge führten in das dahinter liegende Esszimmer.
Jackpot. Die Doppeltüren führten hinaus in den Garten. Sie war unter Daimlers Radar hindurchgeschlüpft und wieder da, wo sie angefangen hatte.
Sie schlich auf Zehenspitzen am Kamin vorbei, versteckte sich hinter der Steinfassade und nutzte sie als Deckung, während sie ins Esszimmer spähte. Von ihrer Position aus hatte sie freie Sicht in den Durchgang zur Küche. Kein Elf in Sicht. Gott sei Dank. So weit, so gut.
Mit dem Duft von bratendem Lamm in der Nase, betete Myst um leise Bodendielen und schlich, nachdem sie um einen riesigen Tisch herumgelaufen war, schnurgerade auf die Doppelglastür zu. Draußen schwankten die Bäume, winkten sie herbei, weckten in ihr den Film ihrer eigenen Flucht, in dem die bunten Blätter ihr als Späher dienten.
Nur – sie versuchte gar nicht zu entkommen.
Sie hatte Bastian ihr Wort gegeben. Drei Tage. Er hatte sie um drei Tage gebeten, und Wahnsinn hin oder her, sie beabsichtigte, sie ihm zu gewähren. Aber als sie die Tür öffnete und auf die Terrasse trat, breitete sich Unruhe in ihrem Magen aus. Das hier war kein Betrug. Sie wurde Bastian – oder ihrem Versprechen – gegenüber nicht untreu, indem sie sich außerhalb des Hauses umsah.
Myst zog die Stirn kraus. Oder?
Ihre Füße verharrten reglos auf den Steinplatten, und Myst rieb sich über die Oberarme, bekämpfte den Drang, wieder hineinzugehen und ihre Sünden zu gestehen. Was vollkommen verrückt war. Alles, was sie wollte, war ein bisschen frische Luft, eine Weile mit ihren Gedanken alleine sein … und die Garage finden.
Na also, wenigstens ein ehrlicher Gedanke.
Und sie hatte Bastian der Lüge bezichtigt. Ihr Gewissen flüsterte ihr zu, dass sie kein Stück besser war. Trotz ihres Versprechens hatte sie auf der Suche nach dem besten Weg nach draußen das Haus erkundet. Ihr Verhalten zeugte eher von Absicht als von Neugier, und während sie im Schatten des Black Diamond dastand, stellte sie sich der zwangsläufigen Wahrheit.
Sie stand mit einem Bein drinnen, mit dem anderen draußen.
Die Hälfte von ihr wollte sich an ihr Versprechen halten und bei Bastian bleiben, während es die andere Hälfte in den Fingern juckte loszurennen. Sich zu verstecken wäre leichter, aber auch schmerzhafter. Ganz gleich, wie sie es auch drehte, Myst wusste, dass sie Bastian vermissen würde – ihre Sehnsucht nach ihm war zu groß, um sie zu ignorieren. Irgendwie hatte sie sich kopfüber in ihn verliebt, sich zu tief auf die Sache eingelassen, um jemals unverletzt wieder da rauszukommen.
Eine Windbö erhob sich, spielte mit ihrem Haar, während sie in den Himmel sah. Ein heftiger Sturm zog auf. Seine Wildheit überraschte sie nicht. Jedes Jahr, ungefähr zur gleichen Zeit, erwischte Seattle ein solches Prachtexemplar nebst der nachfolgenden Aufräumarbeiten. Umgestürzte Bäume und durchtrennte Stromleitungen waren an der Tagesordnung und noch das kleinste Problem. Während Mutter Natur außer Rand und Band geriet, fühlte Myst sich immer wie elektrisiert: unfähig stillzusitzen, als hätte sie ein Übermaß an Energie, für das sie kein brauchbares Ventil fand.
Normalerweise machte sie dann irgendwelche Dummheiten.
Letztes Jahr waren Tania und sie laufen gegangen, ein schonungsloses Wettrennen durch die
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