Toedliches Verlangen
und durch die Seiten blätterte. Gegen Ende zog er ein langes Stück Papier heraus, das in vier gleich große Teile gefaltet war. Er zog es auseinander wie ein Akkordeon, und Bastian erhaschte einen Blick auf schwarze Tinte, die sich in die Äste eines Stammbaums verzweigte.
Rikar fuhr mit dem Finger über die untere Hälfte. Bei einem Namen hielt er an. »Forge.«
Bastian lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, ein Plan nahm in seinem Geist Gestalt an.
»Was denkst du?«, fragte Rikar. »Die Schotten werden auf unseren Ruf nicht antworten. Und auf gar keinen Fall können wir nach Schottland ohne einen ernsthaften …«
»Wir müssen nicht über den Großen Teich.« Der harte Klang der Highlands hallte durch seine Gedanken und erinnerte ihn an eine kürzlich geführte Unterhaltung. »Dieser Wichser auf dem Bahndepot, weißt du? Der Razorback mit der Feuersäure?«
»Ja.«
»Ist vom schottischen Clan.«
Rikars Mundwinkel zogen sich nach oben. »Wir müssen ihn kriegen. Rausfinden, was er weiß.«
»Mhm.« Bastian starrte über die Schulter seines Freundes auf die Bücherreihen. Er sah sie zwar, nahm sie aber nicht wirklich wahr. Er war zu beschäftigt damit, über ihren Plan nachzudenken, ihn von allen Seiten zu betrachten. Er musste Deep Purple die Flügel stutzen. Und der einzige Weg, das zu schaffen, war, ihn in die Todesbox zu locken … nah genug zu kommen, um ihn mit einer anständigen Ladung Strom außer Gefecht zu setzen und einzusperren.
Keine leichte Aufgabe. Der Krieger war schlau. Ihn einzufangen würde jede Menge Planung brauchen und damit Zeit, die er nicht hatte. Zumindest nicht bis morgen Nacht, wenn die Ausrichtung vorüber war.
»Also ködern wir ihn.« Rikar hing auf seinem Stuhl, schlug die Beine übereinander und drehte das Buch in den Händen. »Kannst du ihn in eine Falle locken? Meinst du, er kommt überhaupt?«
»Der kommt.« Bastians Rücken juckte. Er rieb die Schulterblätter an der Stuhllehne, sein Plan nahm immer klarere Formen an. »Er wird nicht widerstehen können. Wir haben etwas, das er will.«
»Was?«
»Seinen Sohn.«
Nicht, dass er Gregor Mayhem diesem Kerl ausliefern würde – einem verdammten Razorback. Auf gar keinen Fall. Nicht nur, weil der Ehrenkodex der Nightfury es verbot. Er machte sich eher Sorgen um seine Gefährtin. Myst würde ihm lebendig die Haut vom Leib ziehen und … schau an, was war denn mit ihm passiert? Er versuchte, einer Frau zu gefallen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass er sie vielleicht ein Leben lang behalten konnte.
Ja, ja. Ewige Hoffnung und der ganze Kram.
Aber selbst während Bastian es herunterspielte – sich fürchtete zu glauben, sie würde die Geburt ihres Sohnes überleben –, betete er darum, dass es so war. Bitte, lieber Gott, hab Gnade. Er bat nicht um viel. Er hatte nur einen einzigen Wunsch. Eine Familie: Eine Gefährtin für ihn, eine Mutter für seinen Sohn.
Bastian hielt sich an der Hoffnung fest und stemmte sich auf die Füße. Er musste sie sehen. Er hatte nicht viel Zeit, und Myst verdiente alles, was er geben konnte, bevor der Meridian sich ausrichtete. Ein echtes Date. Ein gemeinsames Abendessen … oder irgendetwas in der Art. Hauptsache, sie fühlte sich dabei wie etwas Besonderes.
Als er um den Tisch herumging, reichte Rikar ihm das Buch. Weiches, rotes Leder strich über seine Handfläche. Er betrachtete es einen Moment lang, wusste, dass er es von der ersten bis zur letzten Seite lesen würde – um Hoffnung zu schöpfen –, bevor er heute Nacht mit Myst das Bett teilte. Er packte das dünne Manuskript und warf einen Seitenblick auf seinen besten Freund, eine Braue fragend hochgezogen.
Rikar schloss sich ihm an, und gemeinsam gingen sie zur Tür. »Wir anderen lassen uns in einer Stunde einschließen. Du hast das ganze Haus für dich alleine. Hab Spaß heute Nacht.«
»Arschloch.«
»Na klar.« Rikar schlug ihm auf die Schulter und folgte ihm in den Flur. »Entspann dich, Bas. Auch wenn du vor Hunger die Kontrolle verlierst, du wirst sie nicht verletzen.«
Bastian nickte, betete, sein Freund möge recht haben, aber ganz glaubte er es nicht. Wenn es um Myst ging, litt er unter Kontrollverlust. Und das schon bevor die Gier ihn überwältigte. Er war noch nie mit einer Frau zusammen gewesen, wenn der Meridian sich erhob. Hatte keine Vorstellung von dem, was er tun … oder wie hart er sie anfassen würde, wenn das Verlangen ihn übermannte.
30
Kaum hatte sie ihn gefasst, war ihr Plan auch schon wieder
Weitere Kostenlose Bücher