Toedliches Verlangen
regenüberfluteten Straßen. Myst stieg die Stufen der Terrasse hinunter und nahm den Weg nach rechts in den Garten, während sie darüber nachdachte, was Tania dieses Jahr ohne sie machen würde. Ihre beste Freundin war immer überspannt, manchmal ein bisschen neurotisch. Aber während der Phase, die sie den Herbststurm nannten, wurde Tania so nervös, dass sie zum Wahnsinn neigte.
Sie musste ihre Freundin anrufen, und sei es nur, um ihre Stimme zu hören und sicherzugehen, dass es ihr gut ging. Aber was die Telefone anging, hatte Bastian ihr die Wahrheit gesagt. Während der Stunde, in der sie das Haus erkundet hatte, war ihr kein einziges Gerät unter die Augen gekommen.
Sie strich mit den Händen über ein Paar dichte Farnwedel und folgte dem festgetretenen Pfad parallel zum Haus. Der Black Diamond war ein Monstrum, ein Fachwerkmonument, das kein Ende nahm. Der Flügel, der sich vor ihren Augen erstreckte, vereinnahmte das Grundstück mit der Herrschaftlichkeit alten Landadels. Sie behielt das Gebäude im Auge, suchte nach einem Weg, die Vorderseite des Hauses zu erreichen. Mit der Eingangstür hatte sie es bereits versucht. Fort Knox war ein Witz dagegen … das Ding war besser verschlossen als ein Hochsicherheitsgefängnis. Und die Riegel gaben nicht nach, ganz gleich, mit wie viel Muskelkraft sie sich dagegenstemmte.
Einige Minuten später fand sie, was sie suchte: eine Lücke im Gebüsch und einen schmalen Pfad, der an der Seite des Hauses entlanglief. Sie musterte die dornige Bodendecke und warf dann einen Blick auf die Flip-Flops an ihren Füßen. Arbeitsstiefel wären besser gewesen, aber sie wollte nicht meckern. Dann musste es eben barfuß gehen.
Sie hielt ihre Schuhe in einer Hand und stelzte vorsichtig auf Zehenspitzen durch die Dornen, achtete nicht auf die kleinen Kratzer in ihrer Haut. Mit einem letzten Sprung landete sie auf dem Pfad und spähte um die Hausecke.
Bingo. Direkt vor ihr lag ein Nebengebäude.
Der Geruch nach Regen wehte über sie hinweg, als in der Ferne Donner grollte, der Wind auffrischte und an ihrer Kleidung zerrte. Myst ignorierte die Warnung, schlüpfte wieder in ihre Schuhe und lief den Pfad auf das Gebäude zu. Bitte, lass es die Garage sein. Sie musste wissen, wo sie war … und welche Fahrzeuge darin aufbewahrt wurden.
Als sie die Vorderseite erreichte, erleuchtete ein Blitz den Himmel über ihr. Die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf, das Gefühl rann ihr den Rücken hinunter, während der Kies unter ihren Füßen knirschte. Sie wandte sich nach rechts, rannte über die Einfahrt und …
Gott sei Dank. Große Stahltore. Sieben Garagen standen in Reih und Glied und warteten darauf, geöffnet zu werden. Eine Sekunde verstrich, und Myst schmeckte Freiheit auf der Zunge. Sie war nur noch einen Augenblick entfernt: ein einfacher Knopfdruck, eine schnelle Suche nach den Schlüsseln. Und als sie in der zunehmenden Dunkelheit stand, stellte sie sich das Dröhnen des Motors vor, das Lenkrad in ihren Händen, während sie Bastians Zuhause hinter sich ließ. Eine tonnenschwere Last legte sich auf ihre Brust und umklammerte sie schmerzhaft, wie ein Schraubstock.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie hatte das passieren können? Endlich hatte sie den richtigen Mann gefunden, der perfekt für sie war und … Himmelherrgott. Das Schicksal stellte sie vor eine entsetzliche Wahl. Ihn aufzugeben und ihr Leben wiederzugewinnen. Oder zu bleiben und alles zu verlieren.
Myst ließ den Kopf hängen. Vielleicht war er doch nicht so perfekt …
Hinter ihr erklangen leise Schritte.
Mit einem Seufzen hob Myst den Kopf, um in den sturmgepeitschten Himmel zu blicken. Sie sah zu, wie die Wolken sich zornig übereinandertürmten. Sie hätte besser aufpassen sollen. Das elektrisierende Gefühl, das sie vorhin ergriffen hatte, hatte nichts mit dem Sturm zu tun. Es war Bastian. Sie konnte seine Nähe spüren.
Sie warf einen Blick über die Schulter. Ernsthafte grüne Augen begegneten den ihren, sahen Schicht um Schicht in ihr Innerstes.
»Was treibst du hier draußen, Myst?« Seine Stimme war sanft, hob sich kaum über den Wind.
»Ich sehe mich um.«
»Bist du fertig?«
Als sie nickte, streckte er eine Hand aus, die Handfläche nach oben, und lud sie ein, zu ihm zu kommen. Einen Moment lang blieb sie stehen und hielt seinem Blick stand – zögerte –, dann gab sie nach. Sie brauchte ihn zu sehr. Aber als sie ihre Hand in seine viel größere legte, schalt sie sich eine Närrin.
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