Toedliches Verlangen
werden, konnte einen diesbezüglich wohl abhärten. Was aber nicht bedeutete, dass es ihr gefiel.
»Hör damit auf.« Sie starrte ihn böse an, ihr Wutbarometer stieg auf Rot. »Meine Gedanken gehören mir … nicht dir oder irgendwem sonst.«
»Wie du wünschst«, murmelte er, ganz Gentleman, während er das Inventar ihres Kofferraums musterte. »Welche?«
Was? Ach so. Die Tasche. »Die kleine blaue. Und ich meine es ernst, Bastian. Das ist ein ungerechter Vorteil. Versuch gar nicht erst …«
»Du willst Platzregeln festlegen?« Seine große Hand schloss sich um die Riemen der Tasche und hob sie in hohem Bogen nach draußen.
»Nein. Ich will meine Freiheit zurück.«
»Dafür ist es leider zu spät.« Mit der Tasche über der Schulter ging er an ihr vorbei. Sein Duft wehte hinter ihm her, die sexuelle Anziehungskraft des Lanvin-Aftershaves raubte ihr fast den Atem. »Komm. Wir haben hier genug Zeit verschwendet.«
Mit einem Murren folgte sie ihm und bedachte ihn währenddessen im Geiste mit allen Schimpfwörtern, die sie kannte. Hoffentlich las er ihre Gedanken. Hoffentlich war ihm unangenehm, was er hörte. Wenn sie es nur fest genug versuchte, könnte ihn das ganze Hirngeschrei vielleicht taub werden lassen – oder wahnsinnig –, ohne dass sie ein einziges Wort laut aussprechen musste.
Geschähe ihm recht.
In jeglicher Hinsicht.
Schließlich hielt er sie hier fest.
Als Bastians schwere Stiefelschritte durch die riesige Höhle hallten – und ihrem Gefängnis immer näher brachten, während die Freiheit in immer weitere Ferne rückte –, kämpfte Myst um Selbstkontrolle. Das Leben, das sie kannte, war vorbei. Er nahm ihr alles, was sie liebte: ihre Freunde, ihren Job, ihr Leben.
Es war nicht gerecht. Es ergab keinen Sinn. Jedenfalls noch nicht. Diese Welt – die Bastians und seiner Freunde – war nicht die ihre und würde es niemals werden.
Der Drang zusammenzubrechen und zu schreien wurde übermächtig. Aber mit Hysterie hätte sie nichts gewonnen außer verheulten Augen. Und ganz ehrlich? Sich über den Verlust in einen emotionalen Abgrund zu stürzen war ungefähr so produktiv wie ein Schlaganfall. Nicht die beste Option, wenn ihr Gehirn ihr noch von Nutzen sein sollte.
Als sie die Höhle zur Hälfte durchquert hatten, sah Myst erneut nach dem Baby. Betrachtete sein kleines Gesicht, überprüfte, ob …
Ihr Herz setzte einen Moment lang aus. Atmete es überhaupt noch?
Ihr Gang wurde langsamer, als sie ihre Hand unter die fleecegefütterte Jacke schob und auf seine Brust legte. Es war warm und … Gott sei Dank! Sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich. Myst sog die Luft ein, mehr ein Keuchen als ein Atemzug, und konzentrierte sich darauf, seinen Puls zu messen. Der schnelle, gleichmäßige Rhythmus beruhigte sie. Okay, kein Grund, in Panik zu geraten. Es war immer noch …
»Es geht ihm gut, Myst.«
Der Kloß in ihrer Kehle war so groß, dass sie kaum atmen konnte. Sie blickte auf und merkte, dass Bastian sie ansah. »Ich habe solche Angst um ihn.«
»Er ist gesund.«
»Woher weißt du das?«
»Vertrau mir.«
Da war sie wieder, diese Anziehungskraft. Und sie wollte ihm vertrauen, trotz allem. Unter normalen Umständen hätte sie getan, worum er bat. Aber diese Nacht war nicht normal. Und ganz gleich, wie vertrauenswürdig er sich benahm, sie wusste, dass er sich jeden Augenblick gegen sie wenden könnte.
Also … nein. Ihm zu vertrauen stand nicht auf ihrer To-do-Liste.
Trotzdem zwang sie sich zu nicken – zu tun, als unterwerfe sie sich seiner Dominanz – und setzte sich wieder in Bewegung. Ihre Schritte hallten in der Leere wider, dröhnten in ihrem Kopf. Sie zog den Regenmantel um das Baby zurecht und musterte ihre Umgebung, achtete auf jedes Detail … all die kleinen Dinge, die später vielleicht den entscheidenden Vorsprung bringen könnten. Etwa die Breite der Höhle, die Zahl der Stalagmiten am hinteren Ende und der fast unsichtbare Felsvorsprung, der sich bis zur Landeplattform an der Seitenwand entlangzog. Sie überlegte, wie schmal er war, folgte ihm mit den Augen bis zu dem Punkt, an dem er in dem Tunnel verschwand, der zum Fluss führte. Es könnte ein Fluchtweg sein, aber …
Sie brauchte erst ein paar Dinge, bevor sie es versuchte. Eine Taschenlampe zum Beispiel. Oder eine Babytrage. Zwischen diesen zerklüfteten Vorsprüngen und rutschigen Felsen musste sie die Hände frei haben. Was noch? Eine wasserdichte Jacke wäre gut; feste Stiefel, warme Kleider für sie
Weitere Kostenlose Bücher