Toedliches Verlangen

Platz zurück. Statt auf seinen Stuhl setzte er sich jedoch auf die angrenzende Arbeitsplatte, lehnte sich zurück und deutete mit dem Kinn in Rikars Richtung. »Irgendeine Nachricht von den anderen?«
    »Noch nicht.« Rikar schob seinen Teller zurück. Teures Porzellan rutschte über den Marmor, auf Kollisionskurs mit der Butterdose. Mit einem leisen Klacken stieß beides aneinander, als er sagte: »Sie sollten aber bald bei der Versammlung eintreffen.«
    Mit einer steilen Falte zwischen den Brauen tätschelte Bastian sanft den Rücken des Babys, seine Besorgnis gut sichtbar für alle Anwesenden. Als Kommandant des Nightfury-Clans trug sein Freund eine schwere Last … die Verantwortung für sie alle. Aber was er am meisten hasste, war Entfernung. Und die Tatsache, dass Haider und Gage sich einen ganzen Kontinent weit weg aufhielten, passte ihm ganz und gar nicht. Passte keinem von ihnen.
    »Verdammte Erzgarde«, murmelte er. Er verachtete diese Idioten, die für das Schlamassel verantwortlich waren, das sich in Prag abspielen würde.
    Venom schnaubte. »Arschgarde, meinst du wohl.«
    Ja, das klang passend. Die Erzgarde – die Männer, die den fünf Herrscherclans vorstanden und den Hohen Rat bildeten, waren Arschlöcher. Die nichtsnutzigen Volltrottel saßen auf ihren aristokratischen Hintern und taten alles, um ihre eigenen Interessen zu schützen, aber nur wenig für das Wohl der Clans. Himmel, sie hatten keine Ahnung, was in der wirklichen Welt vor sich ging … außerhalb der bequemen, privilegierten Gesellschaft, in der sie sich bewegten.
    Sich mit ihnen herumzuschlagen war, wie mit jemandem zu sprechen, der in einer Luftblase wohnte. Der Klang drang zwar zu ihm durch, aber so, wie die Erwachsenen zu Charlie Brown … wah-wah-wah – wah wah .
    Nichts davon spielte jedoch eine Rolle. Nicht auf lange Sicht jedenfalls, denn so gerne Rikar den ganzen Club auch in die Gosse verfrachtet hätte, die Versammlung durfte man nicht übergehen. Alle Angehörigen des Drachenblutes ehrte n die feierliche Tradition. Keinen Repräsentanten zu schicken kam einem Verrat gleich. Also waren Haider und Gage aufgebrochen. Und jetzt saßen sie alle auf heißen Kohlen und beteten, dass die beiden nicht nur heile ankamen, sondern es auch in einem Stück wieder nach Hause schaffen würden.
    Schwere Schritte drangen aus dem Flur.
    Rikar lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. »Wurde auch Zeit.«
    Sloan joggte in die Küche, rote Aktenordner unter dem Arm. Der Mann warf ihm einen düsteren Blick zu. »Das hab ich gehört, Arschloch.«
    »Das schmeckt dir nicht? Dann komm pünktlich.«
    Sloans dunkler Blick wurde noch eine Spur schärfer. »Halt’s Maul, Rikar.«
    Er schluckte ein Grinsen hinunter und sparte sich einen Kommentar. Dem Himmel sei Dank für den dunkelhäutigen Bastard. Sloan zu ärgern besserte seine Laune jedes Mal. Auch wenn ein Blick auf Bas’ Miene ihm sagte, er sollte es besser lassen.
    »Was hast du, Sloan?« Bastian schob sich das Baby auf die andere Schulter.
    Der arme kleine Kerl protestierte, das Geräusch klang verärgert, mit einer Spur Ich-will-zu-meiner-Mami. Fast den ganzen Tag hatte er schon so gequengelt. Sie hatten sich alle abgewechselt, ihn zu füttern und mit dem hüpfenden Schritt herumzutragen, der ihm so zu gefallen schien. Na ja, fast alle hatten den Kleinen mal getragen. Wick hatten sie übergangen. Niemand wollte den Kerl in die Nähe eines Babys lassen.
    Das Computergenie des Hauptquartiers – Hacker der unbezwingbaren Datenbanken – warf die Aktenordner in die Mitte der Kücheninsel. Rote Deckpappe rutschte über weißen Marmor und prallte gegen den Krug mit Ahornsirup. »Schwierigkeiten.«
    Venom griff nach einem der Ordner. »Die ganz normalen oder die der Sorte O-mein-Gott-holt-die-Kinder-rein?«
    »Die der Sorte Seattle Police Department.«
    »Scheiße«, sagten Bastian und er gleichzeitig.
    »Ja, wir haben uns zwei Detectives eingehandelt.« Sloan drehte einen Stuhl um und setzte sich, die Arme über der Rückenlehne gefaltet. »Drei ungelöste Mordfälle … alles Frauen, dunkles Haar, Anfang zwanzig. Todesursache … multiples Organversagen.«
    Weitere Flüche machten die Runde durch die Küche.
    Sloan fuhr fort. »Oh, und das Beste kommt noch. Neben den Opfern lagen Aschehaufen. Wollt ihr raten, was das heißt?«
    Bastian knurrte. Der Säugling reagierte mit einem erschrockenen Kreischen. Fluchend stand Bas auf und begann herumzugehen, hin und her zwischen der