Toedliches Verlangen
jetzt? Stand jemand vor ihrer Tür und wollte ihr beweisen, dass es nicht so war.
Ein zweites Klopfen ertönte, donnerte durch die Stille.
Panisch rappelte sie sich auf und hechtete über die Bettkante. Als ihre Füße den Boden berührten, stolperte sie über ein Dekokissen und konnte sich gerade noch am Laken festhalten. Fest unter die Matratze gesteckt, hielt es sie tatsächlich aufrecht, bevor Myst das ganze Durcheinander vom Bett riss. Ihre Decke und ein ganzes Sortiment weiterer Bettwäsche landeten auf dem Boden.
Na und?
Sie bewarb sich hier nicht um den Titel Hausfrau des Jahres . Ihr Ziel war Sicherheit, und während sie das Bettlaken wie eine Toga um sich wickelte, sah sie sich nach einer Waffe um. Wer auch immer im Flur stand, war nicht unbedingt ihr Freund. Sie musste vorbereitet sein.
Ihr Blick blieb an dem schweren silbernen Kerzenständer hängen, der auf dem Nachttisch stand. Mit einer Hand hielt sie ihre Behelfsbekleidung fest, mit der anderen riss sie das Ding von seinem Platz. Sie schloss die Hand um das Metall und drückte es sich fest gegen die Brust.
»Mylady?« Ein trockener, britischer Akzent drang durch die Tür, schwebte auf einer Wolke höflichster Erkundigung. »Darf ich eintreten?«
Myst blinzelte. Mylady?
Der Brite wartete einen halben Herzschlag ab, bevor der T ürknauf sich zu drehen begann. Mysts Puls wurde noch eine Spur schneller, als das polierte Metall stehen blieb und de r Spalt zwischen der Tür und dem hölzernen Rahmen größer wurde. Sie hob den Kerzenhalter, stellte sich breitbeinig hin, erwartete einen Axtmörder durch die Tür kommen zu sehen.
Ein Puttengesicht – komplett mit dunklen Locken und Unschuldsaugen – spähte in den Raum. »Ach, wie wunderbar. Ich freue mich außerordentlich, Sie wach zu sehen. Guten Morgen, Mylady.« Ohne auch nur im Geringsten auf d ie Tatsache zu achten, dass sie einen Kerzenständer schwen kte wie eine Kampfaxt, tänzelte er über die Türschwelle. »Sind Sie hungrig, Mylady? Ich habe heute Abend Waffeln bereitet, und alle haben sich bereits in der Küche zusammengefunden.«
Myst starrte ihn entgeistert an. Waffeln? In der Küche? Zur Hölle, wer …
»Ach du meine Güte«, sagte er, als seine tippelnden Feenfüße in der Mitte des Raumes zum Stehen kamen. Er warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, dann lächelte er und entblößte dabei einen goldenen Schneidezahn. »Vergeben Sie mir. Wo habe ich bloß meine Manieren gelassen? Mein Name ist Daimler, und ich bin wirklich hocherfreut, Sie kennenzulernen, Ms. Munroe.«
Er verbeugte sich mit einer überschwänglichen Geste, die Schwalbenschwänze seines Fracks wippten nach oben.
Okay. Mr. Daimler-Gestärkt-Gemangelt-und-Zugeknöpft wusste, wie sie hieß. Aber der Name passte ihr ganz und gar nicht. Ms. Munroe erinnerte sie viel zu sehr an ihre Mutter, und gerade im Moment brauchte sie neben dem ge istigen nicht auch noch einen emotionalen Zusammenbruch. »Ah, Myst, bitte.«
Der kleine Kerl blieb stehen, um ein Dekokissen aufzuheben. Mit einem perplexen Ausdruck auf dem Engelsgesicht richtete er sich wieder auf.
Sie räusperte sich. »Ich heiße Myst.«
»Oh, Mylady … vielen Dank.« Seine Augen glänzten feucht, als hätte sie ihm ein unglaubliches Geschenk gemacht. »Sie ehren mich über alle Maßen …« Mit seinen langfingrigen Händen glättete er das Kissen und warf ihr ein unsicheres Lächeln zu. »Myst. Master Bastian erwähnte, Sie seien eine Frau großer Werte, aber …«
Während Daimler weiterplapperte, trippelte er ums Bett und hob die heruntergefallene Decke auf. Myst hörte jedes Wort, aber nur eines war von Bedeutung.
Bastian.
Zack.
Die Erinnerung floss zurück in ihren Schädel wie Wasser in ein Glas. Sie zog die Augenbrauen zusammen. Ihr Kidnapper hatte sie geküsst. Letzte Nacht. Im Klinikraum. Und … gottverdammt. Warum hatte es ihr so gefallen? Erschöpfung. Ja, das war eine gute Erklärung. Sie war so müde gewesen, kein Wunder. Nach einer Nacht wie dieser – nach Carolines entsetzlichem Tod und nachdem sie beinahe das Baby verloren …
Großer Gott. Das Baby.
Eine Panikwelle schlug über ihr zusammen. Myst zwang sich zur Selbstbeherrschung.
»Daimler«, sagte sie, ihr Tonfall scharf vor Sorge. »Wo ist das Baby?«
Der Butler unterbrach seinen Redefluss und die routinierte Aufräumarbeit. Mit einer Hand in der Luft stand er da, die Geste erinnerte sie an eine ihrer Lieblingssendungen, Queer Eye for the Straight Guy , in der fünf Homosexuelle
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