Tödliches Vermächtnis - Lethal Legacy
wollte, würde er wütend auf mich sein. Aber
wenn diese Informationen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht an die Öffentlichkeit dringen durften, wie sollte ich dann wissen, dass Gibson sie nicht missbrauchen würde?
»Hat die Bibliothek tatsächlich eine Hunt-Sammlung?«, fragte ich. »Mike sagte, es hätte etwas damit zu tun.«
Jill Gibson rückte ihren Stuhl näher an den Tisch. »Die Familie war vor über hundert Jahren an der Gründung der Bibliothek beteiligt. Ihre Sammlung ist ungeheuer wertvoll. Wir vermeiden in der Regel alles, was die Hunts beunruhigen könnte«, sagte sie, an Battaglia gewandt.
»Ich werde mich auf jeden Fall mit allen Familienmitgliedern unterhalten müssen«, sagte ich.
»Darüber sprechen wir, wenn Jill gegangen ist, Alex. Wir haben uns in den letzten beiden Wochen ein paar Mal getroffen, weil es in der Bibliothek Probleme gibt. Diese Sache ist womöglich kein Einzelfall.«
Jetzt hatte Battaglia meine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Was für Probleme?«
»Kennen Sie die Bibliothek?«, fragte Jill.
»Ich halte es für das prächtigste Gebäude von New York City.« Ich schenkte uns Kaffee nach. Das von Carrère und Hastings errichtete Meisterwerk im Beaux-Arts-Stil mit dem dreiteiligen Portikus war das beherrschende Gebäude an der Ecke Fifth Avenue und 42. Straße.
»Kennen Sie es auch von innen?«
»Ich habe Anglistik studiert und hatte das Glück, in den Semesterferien dort einen Monat lang für meine Abschlussarbeit recherchieren zu dürfen.«
»Sie wollen vielleicht wissen, warum die Hunt-Familie so wichtig für uns ist, Alex. Warum wir sie in
Ruhe lassen und nicht in Skandale verwickeln wollen«, sagte Jill Gibson. »Ich kann Ihnen gerne eine Privatführung durch die Sammlung anbieten. Sie enthält ein paar außergewöhnliche Stücke.«
»Das wäre sehr freundlich.«
»New York hatte sich mit dem Bau einer eigenen Bibliothek lange Zeit gelassen«, sagte Jill. »Die Franzosen hatten ihre Nationalbibliothek und im Britischen Museum in London entstand dieser fantastische überkuppelte Lesesaal. Diese Einrichtungen, Symbole der Zivilisation, wurden in den jeweiligen Hauptstädten aufgebaut und mit Manuskripten und Büchern bestückt, die Könige und Adelige über die Jahrhunderte hinweg gesammelt hatten. Die Amerikaner hingegen versuchten mühsam aus dem Schatten der Kolonialzeit herauszutreten, und außerdem fehlte es hierzulande für solche Zwecke an vergleichbaren staatlichen Förderungen. In den 1890er-Jahren hatten Boston und Chicago - unsere inländischen Rivalen in Sachen intellektuelles Prestige - bereits Zentralbibliotheken gebaut, und die Library of Congress in Washington zog aus dem Kapitol in ihr erstes eigenes Gebäude um.«
»Davor hatten wir keine Bibliotheken?«, fragte Battaglia.
»Man unterscheidet zwei Arten von Bibliotheken, Paul. Eine davon ist die sogenannte Leihbücherei.«
»Bücher für das Volk, um die Massen zu erziehen«, sagte ich in Erinnerung an meinen Geschichtsunterricht. »Sozialer Aufstieg durch persönliche Fortbildung. War das nicht normalerweise die Aufgabe der begüterten Damen einer Gemeinde, die armen kleinen Mädchen mit erbaulichem Lesestoff zu versorgen?«
»Ganz genau. Daraus gingen landesweit die Leihbüchereien hervor. Der andere Typus ist die mit Stiftungsgeldern
finanzierte Forschungsbibliothek, deren Bücher niemals das Haus verlassen dürfen - wie im Fall der New York Public Library . Unsere Bibliothek ist das Geschenk einer Gruppe der reichsten Männer des Landes an diese Stadt.«
»Wer hat sie gegründet?«, fragte ich.
»Den Anfang machten private Sammlungen. Die größte stammte von John Jacob Astor, dem ersten amerikanischen Millionär«, sagte Jill.
»Jasper Hunts Geschäftspartner.«
»In manchen Bereichen, ja. Astor liebte Literatur und war mit vielen Schriftstellern und Literaten befreundet. Washington Irving war der erste Präsident der Astor-Bibliothek. Der Nachlass, den John Jacob seinem Sohn William Blackhouse Astor vermacht hatte, umfasste in den 1890er-Jahren über eine Viertelmillion Bücher.«
»Wo konnte man die überhaupt unterbringen?«, fragte Battaglia.
»In der Lafayette Street, Paul. In diesem schönen roten Backsteingebäude, in dem sich heute das Public Theater befindet. Das war die Astor-Bibliothek«, sagte Jill. »Der andere große Büchersammler der Stadt war James Lenox, ein Immobilienmogul und Großkaufmann. Er ließ für seine Bibliothek einen Marmorpalast auf der Upper East Side
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