Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
ausgewiesen war. Man konnte schließlich nicht einen ganzen See mit Hormonen verseuchen, sagte er sich.
»Eine gute Wahl«, bestätigte Onkel Wang. »Heute sind die Exemplare von mittlerer Größe und quicklebendig.«
Es war ein Erlebnis, mit anzusehen, wie der Alte den Fisch vor den Augen seines Gastes im Freien zubereitete. Das Tier war nicht allzu groß, wehrte sich aber heftig; Schuppen blitzten auf, und der Schwanz schlug heftig. Gleich darauf warf Onkel Wang den Fisch in einen Wok mit siedendem Öl.
Von dort wanderte er, noch immer dampfend heiß, auf eine Platte und wurde in einem Bett aus roten Chilis serviert. Seine Haut war goldbraun und knusprig, das Fleisch saftig und zart.
»Heute ist aber nicht viel los, Onkel Wang«, stellte Chen fest, während er zu den Stäbchen griff.
»Die meisten meiner Kunden kommen aus der nahe gelegenen Chemiefabrik, weil das Essen in der Kantine nichts taugt. Aber dort gab es heute Morgen einen Zwischenfall.«
»Sie meinen in dem Betrieb, wo Shanshan arbeitet?«
»Ja, am frühen Morgen sind mehrere Polizeiautos hingefahren. Soviel ich gehört habe, ist jemand ermordet worden. Deshalb glaube ich kaum, dass heute viele von der Belegschaft zum Essen kommen.«
»Oh …« Chen ließ die Stäbchen sinken. Doch dann ermahnte er sich, dass ihn die Sache nichts anging – nicht hier in Wuxi.
Er wollte dem Fisch eben zu Leibe rücken, als Shanshan plötzlich auftauchte und die Straße zum Lokal überquerte.
Onkel Wang begrüßte sie lauthals: »Du bist spät dran heute, Shanshan. Dein Freund wartet schon auf dich.«
Es stimmte zwar, dass Chen schon eine ganze Weile hier saß, aber gewartet hatte er nicht. Dennoch widersprach er dem alten Mann nicht, sondern winkte ihr mit seinem Notizheft zu. Sie musste ihn für einen literaturnärrischen Touristen halten. Warum auch nicht? Unter dem Vorwand einer solchen Identität konnte er wenigstens hemmungslos zitieren und ihr durch Gedichtzeilen zu verstehen geben, was sich direkt nicht aussprechen ließ. Ernsthaft, aber nicht zu ernst.
Sie blieb stehen und nickte ihm zu, bevor sie sich an den Alten wandte.
»Keine Zeit zum Mittagessen heute, Onkel Wang. Ich muss sehen, dass ich die Fähre erwische. Lass meine Proviantdose im Kühlschrank stehen.«
»Aber du musst doch was essen. Ich wärm dir rasch ein paar Dampfbrötchen auf, die kannst du für unterwegs mitnehmen.«
Nachdem Onkel Wang wieder in die Küche geeilt war, warf sie einen Blick in Chens aufgeschlagenes Notizheft. Eine Frage formte sich wie leiser Wellengang in den großen, klaren Augen. Während er noch über diese Metapher nachdachte, wurde ihm klar, dass sie auszusprechen angesichts des verschmutzten Wassers im See höchst unpassend gewesen wäre.
Stattdessen sagte er schlicht: »Ich hatte gehofft, Sie würden zum Mittagessen bleiben.«
»In der Fabrik ist etwas passiert. Schlimme Sache. Ich muss zur Fähre.«
Sie würde sich einem Fremden gegenüber nicht zu dem Mord äußern. Ihre Zurückhaltung war durchaus verständlich.
»Und was halten Sie von meiner heutigen Bestellung?« Durch einen Themenwechsel versuchte er, das Gespräch aufrechtzuerhalten. »Eines der berühmten ›Drei Weiß‹ von Wuxi.«
»Nicht gut.«
»Tatsächlich! Aber der Fisch stammt aus dem Taihu und wird in der Speisenkarte ausdrücklich empfohlen.«
»Sie sind aus Shanghai, Sie können das nicht wissen. Die Fischer hier züchten die Tiere in Einfriedungen, die sie innerhalb des Sees abtrennen. Sie fügen dem Wasser Chemikalien zu, um den Ertrag zu verbessern. Zum Beispiel Antibiotika – Unmengen davon –, damit die Fische nicht krank werden«, erklärte sie. »Aber selbst wenn dieser Fisch tatsächlich frei im See und nicht in einer dieser Zuchten aufgewachsen wäre … Haben Sie sich den See denn nicht angesehen? Sein Wasser ist so verschmutzt, dass es ungenießbar geworden ist. Wie können dort wohlschmeckende Fische gedeihen?«
Er hatte schon von solchen Umweltproblemen gehört, auch in Wuxi. Doch ein Polizist konnte sich immer nur mit einem Fall beschäftigen, mit dem, den er gerade zu lösen versuchte.
»Ist die Wasserqualität denn so schlecht? Erst kürzlich habe ich einen Schlager gehört, der das herrliche Wasser des Taihu pries. Sie kennen ihn bestimmt.«
»Natürlich, der kommt ständig im Fernsehen«, sagte sie, und nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Sie sind als Tourist hier, Sie haben ja keine Ahnung. Haben Sie je von der Ausbreitung der Grünalgen hier im See
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