Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
Chen. Offenbar war er in die Unterhaltung mit Zhao so vertieft gewesen, dass er die eingehenden Anrufe nicht registriert hatte.
»Ich wollte nur von einem weiteren Erfolg berichten, der auf Ihren Hinweis zurückgeht. Nachdem wir miteinander gesprochen hatten, habe ich Fus Zimmer noch einmal richtig auf den Kopf gestellt. Und wissen Sie was? Die fehlende Statuette ist aufgetaucht. Sie stand die ganze Zeit in all ihrem Glanz auf dem Regal zwischen anderen Auszeichnungen, ich habe sie bloß nicht bemerkt.«
»Genau wie in ›Der entwendete Brief‹, eine teuflische List.«
»Wie?«
»Ach, nur eine Erzählung von Edgar Allan Poe.«
»Die muss ich unbedingt lesen, Chef. Aber ehrlich gesagt habe ich bei den gemeinsamen Ermittlungen mit Ihnen mehr gelernt als in zehn Jahren Krimilektüre«, sagte Huang in Abwandlung eines alten Sprichworts. »Jedenfalls habe ich die Statuette umgehend ins Labor geschickt. Es waren jede Menge Fingerabdrücke, sogar Blutspuren dran – vermutlich Lius Blut. Dann bin ich zu meinem Team in die Chemiefabrik zurück. Die waren immer noch mit Fu beschäftigt, der weiterhin alles leugnete, bis auf die heimliche Affäre mit Mi. Er sagte, er habe kürzlich mit ihr Schluss gemacht, deshalb führe sie sich so hysterisch auf. Nachdem wir weder aus Mi noch aus Fu was rauskriegen konnten, wollte die Innere Sicherheit sofort wieder Jiang als Täter ins Spiel bringen. Aber die Statuette hat Fu fertiggemacht. Bei ihrem Anblick ist er zusammengebrochen und hat alles gestanden.«
»Und, wie ist es abgelaufen in jener Nacht?«
»Er sagt, er habe den Mord nicht geplant. Kurz nachdem Mi in die Fabrik zurückkehrte, schlich er sich in Lius Apartment. Dort sah er den Umstrukturierungsplan vor dem schlafenden Liu auf dem Schreibtisch liegen und begann, ihn mit einem Taschenkopierer zu kopieren. Er wollte Einzelheiten über die Umstrukturierung herausfinden, damit er Liu bei den Behörden anzeigen konnte. Immerhin wollte der seinen Sohn in die Firma einschleusen. Aber dann hat Liu sich plötzlich bewegt …«
»Mi hat ihm sicher mehr als die verschriebene Dosis des Schlafmittels verpasst, aber offenbar nicht genug, um ihn ganz auszuschalten.«
»In seiner Panik nahm Fu die Statuette vom Tisch und schlug Liu mit dem Marmorfuß auf den Kopf.«
»Moment mal, Huang. Hat er gesagt ›vom Tisch‹, nicht ›vom Regal‹?«
»Ja, so hat Fu es formuliert.«
»Denkbar wäre es. Vielleicht hatte Liu sie aus einem bestimmten Grund auf dem Schreibtisch stehen. Aber womöglich will Fu seine Tat dadurch auch weniger vorsätzlich erscheinen lassen.«
»Anschließend hat er seine Fingerabdrücke im Apartment entfernt und die Tatwaffe mit nach Hause genommen, zusammen mit dem Umstrukturierungsplan und der Tasse, die noch auf dem Schreibtisch stand. Den Plan hat er verbrannt und die Tasse zerschlagen, aber von der Statuette wollte er sich nicht trennen. Er dachte, bei ihm würde sie niemandem auffallen, und wenn doch, dann nicht als Mordwaffe. Immerhin war er als neuer Firmenleiter ja der rechtmäßige Eigentümer.«
»Wie grausam karma doch sein kann!«
»Wie meinen Sie das, Chef?«
»Die Auszeichnung, die Liu für seine erfolgreiche Arbeit in der Firma erhielt, hat ihn am Ende umgebracht. Und kaum hat Fu die Leitung übernommen, da verwandelt sie sich in jenes unwiderlegbare Beweismittel, das sein Schicksal besiegeln wird. Damit bezahlen beide für die Sünden gegenüber der Umwelt, die sie durch Wachstumssteigerung und Profitsucht verursacht haben.«
»Sie betrachten die Dinge immer von der philosophischen Seite, Chef.«
»Und was ist mit Mi?«
»Sobald sie hörte, dass Fu gestanden hatte, packte auch sie aus. Allerdings besteht sie darauf, nichts von Fus wirklichem Plan gewusst und Liu keine tödliche Dosis des Schlafmittels gegeben zu haben. Ach, und dann hat sie noch zugegeben, die Drohanrufe für Shanshan organisiert zu haben. Das war Lius Idee. Er wollte sie angesichts des Börsengangs ein wenig einschüchtern. Es sollte so aussehen, als kämen die Drohungen von den Triaden. Also musste Mi einen Kleinkriminellen anheuern, der dann von einer Telefonzelle aus bei Shanshan anrief. Aber nachdem Liu tot war, bestand kein Grund mehr, damit fortzufahren.«
»Kein Wunder, dass Shanshan danach nicht mehr belästigt wurde«, meinte Chen. »So etwas hatte ich mir schon gedacht.«
»Genau, Sie haben darin das wichtige Indiz erkannt, das mir entgangen war.«
Es hatte keinen Sinn, Huang über die wahren Hintergründe
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