Töte, Bajazzo
ich hier aus Mailand verschwinden. So jedenfalls sah mein Plan vor.
Einen Riß hatte es dabei gegeben, und dieser Riß hatte auch einen Namen.
Mirella Dalera!
Die Sängerin war plötzlich in mein Leben getreten.
Ich hatte mich als Fremder um sie gekümmert und hatte dabei auch erlebt, wie einsam ein Mensch trotz seiner großen Popularität sein konnte, denn in diesem Hotel war niemand gewesen, der ihr hätte Trost spenden können. Kein Agent, kein Manager, sie war ziemlich allein und hatte sich nach diesem Anruf an mich geklammert wie der berühmte Ertrinkende an den auf den Wellen treibenden Balken.
Sie hatte nicht länger in der Bar bleiben wollen und mich gebeten, sie auf ihr Zimmer zu bringen. Das war auch geschehen. Mirella Dalera bewohnte eine Junior Suite, prächtig ausstaffierte Räume, die jeden Luxus aufwiesen, es aber doch nicht schafften, die Einsamkeit zu vertreiben. Wie ein Häufchen Elend hatte sie auf der Bettkante gesessen und über die Aufführung der Oper lamentiert. Ihrer Meinung nach hing ein Fluch über dem Stück, und sie war davon überzeugt gewesen, daß auch sie damit zu tun hatte.
Ich wollte sie von diesem Gedanken wegbringen, aber Mirella blieb stur.
»Und was wollen Sie jetzt tun?« hatte ich sie gefragt.
»Ich weiß es noch nicht.«
»Sprechen Sie mit dem Regisseur.«
»Nein, auf keinen Fall. Carlo Furona ist ein furchtbarer Mensch, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Dann vergißt er alles, vor allen Dingen seine Kinderstube. Er dreht durch, er wird nichts akzeptieren, er ist eben ein Künstler. Nichts darf ihn von seiner Arbeit ablenken. Ich glaube auch nicht, daß die Aufführung stattfinden wird. Sicherlich wird sie gestrichen, was mir recht wäre.« Sie blickte mich aus großen Augen an. »Glauben Sie denn, es würde uns Spaß machen, auf einer Bühne zu proben, wo einer von uns grausam umgebracht worden ist?«
»Das bestimmt nicht.«
»Sehen Sie.«
»Aber die Schau muß weitergehen. Zudem bleiben Sie ja nicht auf der Probebühne.«
Mirella schüttelte den Kopf. »Alles ist schlimm, John. Ob ich dableibe oder nicht, ich werde immer wieder an den Vorfall denken, und das wird sich auch auf meine Stimme übertragen, glauben Sie mir. Die Angst steckt einfach zu tief. Ich habe die Maske gesehen, John, Sie wissen das. Benito Kraus ist gestorben, und ich kann mir vorstellen, daß es zwischen seinem Tod und der Maske einen unmittelbaren Zusammenhang gibt, auch wenn Sie mich vielleicht auslachen.«
»Ich werde mich hüten, Sie auszulachen, aber was können wir beide schon tun?«
»Sie nichts.«
»Sie denn?«
»Ja, ich muß mit dem Problem fertig werden. Nur wenn ich es überwunden habe, kann ich damit umgehen. Hier läuft etwas ab, mit dem ich nicht zurechtkomme. Manchmal habe ich schon an fremde, unheimliche Mächte gedacht.« Sie blickte mich fragend und ängstlich zugleich an. »Was sagen Sie dazu? Glauben Sie daran, John?«
»Was möchten Sie hören?«
»Die Wahrheit.«
Ich hatte mich auf einen Stuhl gesetzt, der sehr alt und wertvoll aussah.
Sein Polster schimmerte in einem weichen Rot. »Sie haben mich direkt gefragt, Sie erhalten auch eine direkte Antwort. Ja, ich glaube daran.«
Mit dieser Antwort hatte die Sängerin nicht gerechnet. Sie zeigte sich überrascht. »Das hätte ich von Ihnen nun wirklich nicht gedacht«, flüsterte sie.
»Warum nicht?«
»Na ja, Sie haben mir einen souveränen Eindruck gemacht. Ein Mann, den nichts erschüttern kann. Haben Sie schon Erfahrungen hinter sich, was diese Seite des Lebens angeht?«
»Ich kann es nicht leugnen.«
»Ja! Und?« Sie war plötzlich hektisch geworden und krampfte ihre Hände zu Fäusten zusammen. »Erzählen Sie! Sind Sie daran nicht ein wenig zerbrochen?«
»Auf keinen Fall. Ich habe mich damit abgefunden.«
»Toll«, flüsterte sie, »einfach toll. Ich wollte, ich könnte das von mir auch behaupten.«
»Aber bitte, Mirella, noch ist nichts entschieden. Die Maske, die Sie gesehen haben, kann eine Einbildung sein, eine Halluzination, eine sichtbar gewordene Spiegelung des Unterbewußtseins.«
»Warum sollte ich sie denn sehen?« rief sie. »Nicht nur einmal, sondern öfter?«
»Gehört die Maske nicht momentan zu Ihrem Leben?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich denke an die Oper. Zwar bin ich kein Experte, doch soviel ich weiß, ist der Bajazzo ein Clown, eine tragische Figur, die mit weiß geschminktem Gesicht auftritt. Wenn Sie beide Dinge vergleichen, könnte doch die Maske mit dem Clown
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