Töte, Bajazzo
identisch sein. Oder nicht?«
Die Sängerin überlegte einen Moment, bevor sie nickte. »Wenn Sie es so betrachten, haben Sie recht, John. Ja, das könnte sie. Und ich sah schwarze Tränen aus den Augen rinnen. Warum…?«
»Das weiß ich nicht.«
»Blut«, flüsterte sie und schüttelte sich. Dann schlug sie die Hände gegen das Gesicht und fing an zu weinen.
Es war mir unangenehm. Ich wußte nicht, wie ich sie trösten sollte.
Natürlich konnte ich meine Identität nicht preisgeben, ich war auch wegen ganz anderer Dinge gekommen und hätte eigentlich in der Hotelhalle oder der Bar auf den Informanten warten sollen. Statt dessen durchquerte ich das Zimmer der Operndiva und kam mir überflüssig vor, wie ein Kropf. Mirella fing sich wieder und sagte mit leiser Stimme: »Ich weiß ja, daß ich hysterisch bin. Dafür möchte ich mich auch entschuldigen, aber ich konnte einfach nicht anders.«
»Es ist schon okay.«
»Meinen Sie?« Mit einem Taschentuch tupfte sie die Tränen weg und putzte sich anschließend die Nase. »Ich will von diesem Schrecken nichts mehr hören. Für mich wird es am besten sein, wenn ich zwei Schlaftabletten nehme und mich hinlege.«
Dafür war ich auch. »Das wird Ihnen sicherlich guttun, Mirella.«
»Stimmt.«
Ich blieb noch einige Minuten bei ihr. Bevor ich ging, umarmte sie mich und sagte mit leiser Stimme: »Es ist schon seltsam, daß ich zu einem Fremden mehr Vertrauen habe als zu den eigenen Kollegen. Wie ist das möglich?«
»Es kann an den Kollegen liegen.«
»Da haben Sie recht. Es gibt einfach zuviel Neid und auch Mißgunst. Ich danke Ihnen, John, daß Sie so lange Zeit für eine hysterische Person wie mich gehabt haben.«
»Das dürfen Sie nicht sagen. Sie waren schon okay.« Ich küßte sie auf die Wangen und wünschte ihr noch eine gute Nacht. Dann verließ ich das Zimmer.
In Gedanken versunken wanderte ich durch den breiten Flur. Dieser neue Fall wollte mir nicht aus dem Kopf, obwohl er im eigentlichen Sinn kein Fall war. Ich konnte nicht in die Zukunft sehen, doch ich war sicher, daß der Fall mit meinem Weggang nicht beendet war. Ich war davon überzeugt, daß noch etwas nachkam.
Ein weiches Klingeln kündigte an, daß der Fahrstuhl anhielt. Die Türen öffneten sich, ich betrat den Luxus-Käfig aus Samt und Messing, der mich in die untere Etage des Hotels brachte. In der Halle schaute ich auf die Uhr. Bis Mitternacht war noch mehr als eine Stunde Zeit, und ich wollte mich zunächst in der Halle aufhalten. Vielleicht erschien der Informant noch. Jedenfalls hatte er erklärt, daß ich ihm bekannt war.
Es gab keine Hektik, die mich umwirbelte. Alles lief sehr glatt und vornehm ab. Die weichen Polster der Sessel und Sofas luden zum bequemen Sitzen ein, und ich überlegte, ob ich mich irgendwo niederlassen sollte.
Bis ich den Mann sah, der sich von dem Informationsstand löste und direkt auf mich zukam. Kaum daß wir Augenkontakt bekommen hatten, wußte ich, wer dieser Mann war.
»Mister Sinclair?« sprach er mich an. Er redete dabei Englisch.
»Ja.«
»Ich bin Sergio Santini. Ich glaube, Sie sind meinetwegen nach Milano gekommen.«
»Das stimmt.«
»Sie müssen entschuldigen, daß ich Sie habe warten lassen, aber ich muß vorsichtig sein.«
»Das ist verständlich.«
Santini schaute sich um. Er war kleiner als ich, ziemlich dünn, hatte ein bleiches Gesicht und Augen, die tief in den Höhlen lagen. Er wirkte krank. Seine Finger waren vom vielen Rauchen nikotingelb geworden.
»Was tun wir?« fragte ich. »Bleiben wir hier?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Mister Sinclair, wir werden von hier verschwinden.«
»Wohin?«
»Lassen Sie sich überraschen.«
»Ungern.«
Er wiegte den Kopf. »Das verstehe ich, aber ich muß eben vorsichtig sein.«
»Ist man hinter Ihnen her?«
Santini schaute sich um. »Immer. Das Leben ist gefährlich, Mister Sinclair. Man muß achtgeben. Zudem beschäftigen wir uns mit merkwürdigen Dingen.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.«
»Eben.«
Ich traute ihm nicht. Es war mir allerdings auch nicht möglich, eine eigene Initiative zu ergreifen, denn Santini kannte den Weg und nicht ich.
Er sprach von einer Spazierfahrt, die wir unternehmen würden, und ich wollte natürlich wissen, wo das Ziel lag.
»Sehr einsam.«
»Wo?«
»Sie werden es nicht kennen. Es ist ein Lagerhaus. Ein besseres Versteck wußte ich nicht.«
»Für was?«
Santini hatten meine Fragen geärgert, das sah ich ihm an. »Wollen Sie nun mit mir fahren,
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