Töte, Bajazzo
keine Ausnahme. Ich staunte, als ich auf dem Plateau den Friedhof sah, der teils von einer Steinmauer und teils von einem hohen Gitter umschlossen war. Nahe des Gitters stellte ich meinen Wagen ab. Das Tor war offen, ich warf einen Blick auf den Friedhof und sah prächtige Grabsteine und Grüften, die allesamt einen Blumenschmuck zeigten.
Man gab sich eben Mühe mit den Toten, sie waren so schnell nicht vergessen.
Heiligenfiguren, Engel und die Bilder der Verstorbenen schmückten die Grabstätten, die deshalb auf mich sehr oft naiv und kitschig wirkten. Auf den Friedhof wollte ich nicht, denn das Haus der Daleras lag an der rechten, der Längsseite des Geländes.
Es war einfach nicht zu übersehen. Wie eine klotzige Trutzburg stand es dort, zwei Etagen hoch, mit einem Hachdach. Auf mich machte es einen relativ verlassenen Eindruck, denn die Läden vor den Fenstern waren zugeklappt worden. Zumindest in den oberen Etagen.
Ich ging weiter, konnte durch das Gitter auf den Friedhof schauen.
Besucher hatte ich bis auf eine Ausnahme keine gesehen. Nur eine alte Frau schleppte zwei mit Wasser gefüllte Kannen zu einem großen Grab.
Ansonsten zeigte der Friedhof ein trübes, herbstliches Bild, und auf den Gräbern und den Wegen hatte sich das bunte Laub zur Ruhe gebettet.
Die Pinien allerdings trugen auch jetzt ihr grünes Kleid. Sie standen auf dem Friedhof wie schmale Wächter.
Plötzlich passierte es.
Ich hatte die Privatstraße noch nicht erreicht, als mir eine Bewegung auffiel. Sehr schnell und schattenhaft huschte sie zwischen zwei oder drei hohen Grabsteinen hindurch, und ich hatte den Eindruck, als würde sie in meine Richtung eilen.
Ich blieb stehen.
Zu hören war in dieser Umgebung nichts. Nur unten vom Ort her hallte ein Summen hoch, das sich aber oberhalb des alten Friedhofs verlor.
Wer hatte sich da bewegt?
Getäuscht hatte ich mich nicht. Einen Schritt trat ich noch näher an das Gitter heran und umfaßte zwei Stäbe mit den Händen. Ich hielt mich fest, schaute durch die Lücke und suchte nach diesem seltsamen Etwas.
Ich sah es nicht.
Doch eine Täuschung?
Ich wollte mich schon wieder abwenden, als ich plötzlich zusammenzuckte. Auf einmal war die Gestalt da, und sie war erschienen wie aus dem Nichts. Sie paßte nicht auf den Friedhof, eher in eine Oper, ja, sie war ein Clown, ein Bajazzo.
In meinem Bauch turnten plötzlich Schmetterlinge, und ich ging keinen Schritt weiter, aber ich wußte genau, daß diese Begegnung sehr wichtig sein konnte.
Also wartete ich ab…
***
Der Bajazzo tat nichts. Er stand einfach nur da, zwei große Gräber in seinem Rücken, die mit Engeln geschmückt waren, als wollten sie ihn beschützen.
Er trug eine lange, erdfarbene Kutte, und sein Kopf wirkte dabei wie eine Kugel, die in der unteren Hälfte einen dunklen Anstrich bekommen hatte, den Bart eben.
Ich sah sein Lächeln, doch ich wußte auch, daß es nicht echt war. Es war mehr das Lächeln eines Satyrs, das einer dämonischen Gestalt. Es war irgendwo wissend und böse.
Was wollte er?
Ich konzentrierte mich auf das Gesicht. Ich dachte dabei auch an die Beschreibung, die mir Mirella gegeben hatte. Dieses Gesicht und das, was sie in dem Spiegel hatte beobachten können, war identisch. Es gab keine andere Möglichkeit, auch wenn das Gesicht dieses Mannes nicht diese fahle Blässe zeigte, wie sie mir von Mirella beschrieben worden war.
Er breitete die Arme aus. Diese Bewegung hatte ebenfalls nichts Freundliches an sich. Ich konnte mir gut vorstellen, daß er zwei Messer in seinen Händen hielt, um sie mir anschließend in den Rücken zu rammen. Für mich strahlte diese wuchtige Gestalt eine nicht zu unterschätzende tödliche Gefahr aus.
Was sollte ich tun?
Ich schaute am Gitter hoch und überlegte, wie ich es im Notfall überwand. Im Prinzip bestand kein Grund, der andere hatte mir nichts getan, er stand nur da und schaute mich an.
Bis er seine Augen verdrehte. Für mich ein Zeichen, daß er mir einen Hinweis geben wollte. Ich schielte ebenfalls in die bestimmte Richtung und sah oberhalb einiger Grabsteine einen hellen Fleck, genau zwischen den Spitzen zweier Pinien.
Ein Gesicht.
Die Maske!
Das Gesicht des Mannes, der vor mir stand. Nur sehr bleich, totenblaß und mit schwarzen Tränen, die aus seinen Augen flössen. Der Mund war verzogen, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er weinen oder lachen sollte.
Die Trauer in den Zügen allerdings überwog, und auch weiterhin rannen die Tränen aus den
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