Töte, Bajazzo
Augen, um auf den Wangen graue Schmutzspuren zu hinterlassen.
Nebel kam auf, konzentrierte sich auf den Ort, wo das Gesicht schwebte, das plötzlich verschwunden war. Es hatte sich aufgelöst, und ich schaute dorthin, wo auch die eigentliche Gestalt stand.
Sie war nicht mehr da.
Oder?
Im letzten Augenblick sah ich die beiden Hände. Sie schwebten allein über dem Boden, und ich fühlte mich wie in einem Käfig des Grauens gefangen, als ich das dunkle Blut sah, das aus den Fingern floß und zu Boden tropfte.
Zwei, drei Sekunden lang blieb das Bild, dann war es plötzlich wieder weg.
Ein leerer Friedhof, ich als ein Mann, der vor dem Gitter stand und mit den letzten Erlebnissen nicht zurechtkam.
Tief holte ich Luft.
Hatte ich bisher noch Zweifel gehabt, nicht das Richtige getan zu haben, so waren sie nun ausgeräumt worden. Ich wußte, daß ich mich wieder einmal auf mein Gefühl hatte verlassen können, daß es diesen Opernspuk gab, und daß er nicht nur einfach ein Spuk war, sondern auch den Tod bringen konnte.
Er hielt sich auf dem Friedhof auf, eigentlich ein idealer Platz, aber direkt neben dem Friedhof stand das große Haus der Daleras. Ich kannte die Familie nicht, Mirella ausgenommen, aber ich hatte plötzlich Angst um sie.
Wußten sie Bescheid? Hatte man ihnen erzählt, was sich da in ihrer unmittelbaren Nähe abspielte? Möglicherweise waren sie durch ihre Tochter gewarnt worden, aber das würde ich erfahren, wenn ich mich mit den Leuten unterhielt.
Es war nicht mehr weit bis zu dem Weg, der als Privatstraße zum Haus hinführte. Er war relativ schmal, auch etwas steinig, und zwei Wagen paßten kaum nebeneinander.
Wie das Gelände des Friedhofs, so führte auch der Weg in die Höhe und endete dort wo das Haus stand.
Blätter knirschten unter meinen Füßen. In der Luft hing der Geruch von kaltem Rauch und allmählich verfaulendem Laub. Ein typischer Geruch für diese Jahreszeit eben, obwohl die Temperatur hier um einiges höher lag, als in Mailand.
Aber die Jahreszeiten ließen sich nicht aufhalten, ebensowenig wie der Tod. Er gehörte zum Leben, diesen Kreislauf konnte kein Mensch unterbrechen.
Ich erreichte den Eingang, sah die Steintreppe, die zur Tür hochführte, und auch die beiden Autos, die dort standen. Ein Lancia und ein Alfa.
Vor den unteren Fenstern waren die Läden nicht geschlossen worden. In den Scheiben spiegelte sich als Hintergrund ein Teil des Friedhofs wieder. Wenn sich die alten Blätter an den Bäumen bewegten, dann sah es so aus, als würden auch die Scheiben Wellen schlagen.
Niemand kümmerte sich um mich.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß meine Ankunft noch nicht bemerkt worden war, es sei denn, niemand hielt sich im Haus auf, was ich auch nicht glauben wollte, schließlich erwartete die Familie Dalera die Ankunft ihrer Tochter.
Ich persönlich hatte keine Lust, vor dem Haus auf das Eintreffen der Sängerin zu warten. Es war sicherlich besser, wenn ich zuvor mit den Mitgliedern der Familie sprach.
Das Haus war auch außen gut erhalten. Es gab keine Risse in der Fassade. An einigen Stellen rankte Laub hoch, um später waagerecht zu wachsen, als wollte es mit seinen langen Armen in die Fenster hineingreifen.
Der Klingelknopf war nicht zu übersehen. Er schaute als heller Punkt aus dem Mauerwerk hervor, und als ich ihn drückte, hörte ich im Haus ein schrilles Scheppern.
Ich trat einen halben Schritt zurück und wartete darauf, daß mir geöffnet wurde.
Es kam niemand.
Als sich auch nach dem zweiten Klingeln nichts rührte, keimte allmählich das Mißtrauen in mir hoch, und die Atmosphäre gefiel mir überhaupt nicht. Sie kam mir so beklemmend vor, was auch an der unmittelbaren Nähe des Friedhofs liegen konnte. Das allerdings wollte ich nicht so recht glauben, diese Stille mußte schon einen anderen Grund haben.
Ich drehte mich noch einmal um und warf einen Blick über die Mauer hinweg, die das Gitter an dieser Seite des Geländes abgelöst hatte.
Diesen Bajazzo bekam ich nicht mehr zu Gesicht, nur die Spitzen der Grabsteine waren zu sehen.
Ich probierte es.
Die Klinke ließ sich nach unten bewegen. Sie war schwer und paßte zu diesem Haus. Mit der Schulter gab ich Druck und schaute zu, wie die Tür lautlos aufschwang. Ich gelangte in einen hallenartigen Raum. Düster war es darin, und mir wurde mulmig. Ich hatte das Gefühl, ein großes Grab zu betreten.
Die Gänsehaut breitete sich aus. Hinter mir schwang die Tür wieder zu, ähnlich dem Tor
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