Töte, Bajazzo
einer Gruft.
Ich stand in der Halle.
Dunkle Möbel dekorierten sie. Mächtige Bilder hingen an den Wänden.
Links von mir befand sich ein gemauerter Kamin. Der Geruch kalter Asche wehte mir von dort entgegen.
Ich ging zwei weitere Schritte vor, blieb stehen und sah die große Treppe, die als gewaltiges Schnitzwerk aus Holz in die oberen Etagen führte.
Mein Blick glitt weiter. Ich sah den langen rechteckigen Tisch, um den acht Stühle standen, und ich sah auch den Schatten auf der dunklen Tischplatte.
Irgendwie paßte er nicht in das Bild.
Ich näherte mich dem Tisch.
Nach drei Schritten konnte ich es besser erkennen und hatte plötzlich das Gefühl, von den kalten Klauen des Sensenmannes berührt zu werden, denn der Schatten auf dem Tisch war keiner, sondern eine männliche Leiche…
***
Endlich war sie da!
Als Mirella aus dem Zug stieg, atmete sie tief durch. Trotz der irrsinnigen Hektik am Bahnhof fühlte sie sich gut, denn auch Neapel zählte sie zu ihrer Heimat.
Die Erscheinung hatte sie zudem in den letzten Stunden in Ruhe gelassen, so war sie in Neapel eingetroffen und hatte zunächst aufatmen können.
Auf dem Bahnsteig blieb sie stehen, um nach ihrem Vater Ausschau zu halten, der versprochen hatte, sie abzuholen.
Er war nicht da.
In der Hektik sowieso nicht leicht zu entdecken, gab Mirella ihm fünf Minuten, doch erzeigte sich nicht. Der Bahnsteig leerte sich allmählich, ohne daß sie ihren Vater zu Gesicht bekommen hätte, und plötzlich spürte sie die Stiche in der Brust.
Es war etwas passiert!
Für einen Moment schwankte der Boden, auch die nähere Umgebung drehte sich und sie mußte sich an einem Pfeiler abstützen. Ihre Handflächen waren schweißnaß. Auf ihren Vater hatte sie sich immer verlassen können, sie war sein Liebling gewesen, er hätte alles getan, um zu kommen.
Er war nicht da.
Warum nicht?
Mirella hatte das Gefühl, in ein tiefes Loch sinken zu müssen. Sie wollte ihre Ahnungen und Vorstellungen zurückdrücken, weil sie einfach zu schrecklich waren, nur gelang ihr dies nicht, denn gleichzeitig war sie realistisch. Wenn ihr Vater nicht gekommen war, dann hatte er einen schwerwiegenden Grund gehabt, über den sie lieber nicht nachdenken wollte, der aber durchaus mit dem Erscheinen des Clowns in Zusammenhang stehen konnte.
Für Mirella hatte es keinen Sinn, wenn sie auf dem Bahnsteig stehenblieb und wartete. Sie würde auch nicht zu den Parkplätzen laufen und dort nachsehen, sie wollte nur eines: so schnell wie möglich nach Hause.
Die Sängerin hob ihren Koffer an. Die Lippen waren fest zusammengepreßt, sie atmete nur durch die Nase und ärgerte sich auch über die warme Luft in dieser Stadt. Sie ließ den Mantel trotzdem an, eilte weiter und sah die anderen Menschen nur mehr als graue gespenstische Gestalten an ihr vorbeihuschen. Für nichts hatte sie einen Blick, der Weg führte sie automatisch zu den Taxiständen und hinein in die grelle Hektik vor dem Bahnhof.
Noch war es hell, aber in einer halben Stunde sah es anders aus. Da schob sich die Dämmerung vor und würde die heiße Stadt Neapel unter sich begraben.
Sie sprach den ersten Fahrer an, der ihr die Tür öffnete. »Bringen Sie mich nach Maiori.«
»So weit?«
»Ja.« Mirella griff in die Manteltasche und drückte ihm ein Bündel Geldscheine zwischen die Finger. »Das als Vorschuß und auch deshalb, damit sie schnell fahren.«
»Ich werde alles tun, Signora.« Er grinste sie an. »Ich bin froh, eine so berühmte Frau fahren zu dürfen.«
»Danke«, sagte sie automatisch und ließ sich in den Fond fallen. Den Mantel hatte sie ausgezogen. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und lächelte nicht einmal über das Kompliment des Mannes, das ihr früher sicherlich Vergnügen bereitet hätte. Mirella quälten andere Sorgen.
Sie merkte kaum, daß sie durch die Stadt fuhren und dabei in eine wahre Verkehrshölle gerieten. Der Fahrer war ein Künstler und ein Meister seines Fachs. Er schaffte es immer wieder, die entsprechenden Lücken zu finden und in sie hineinzustoßen. So kamen sie relativ rasch voran, und auf der Autostrada ging es dann besser.
Grübelnd saß Mirella im Wagen. Sie dachte auch wieder an John Sinclair und fragte sich, ob er ihre Nachricht auch erhalten hatte und entsprechend reagieren würde. Nur ihm traute sie den entsprechenden Schutz zu, den sie unbedingt brauchte. Er hatte sich weder nervös, noch verrückt machen lassen, war cool geblieben, und in einer Situation wie dieser
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