Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
um ihren Hals hing wie ein tristes Plastikkreuz. Sie war noch nie zuvor hingefallen und hatte nicht mehr aufstehen können, wie diese albernen Werbespots es einem so von oben herab weismachen wollten, doch sie gehörte auch nicht zu der Sorte, die das Schicksal unnötig herausforderte. Abgesehen davon hatte Jerry darauf bestanden – für die Abende, wenn er nicht da war und irgendwelchen Geschäften nachging, von denen sie nichts wusste –, und inzwischen hatte sie sich einigermaßen daran gewöhnt.
Die Hitze stieg in ihre papierdünnen Wangen, als sie sich auf die Füße mühte und das Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung durchquerte, um mit dem klemmenden Fenster in der anderen Ecke zu kämpfen. Es herrschte eine wahre Backofenhitze in der Wohnung, und sie wusste, dass sie keinen Schlaf finden würde, wenn sie nicht wenigstens versuchte, für ein bisschen Kühlung zu sorgen. Als es ihr endlich gelungen war, das Fenster aufzustemmen, kreischte die Arthritis in ihren Gelenken ob ihrer Dummheit. Die schwache Brise, die nun ins Zimmer wehte, schien die Mühe und den Schmerz kaum wert zu sein.
Leise seufzend, während sie sich die schmerzenden Handgelenke rieb, ging Mary Ellen in ihr winziges Schlafzimmer und zog sich langsam aus. Ordentlich faltete sie ihre Kleidung zusammen und legte sie auf den alten Holzstuhl neben dem Bett – sie würde diese Sachen am nächsten Tag wieder tragen. Es war viel zu mühselig geworden, mehr als einmal im Monat die Wäsche zu machen.
Abgesehen davon – wer war noch da, den sie beeindrucken konnte?
Ihre schmerzenden Muskeln pochten in heißem Protest, als Mary Ellen ein dünnes weißes Nachthemd über das schütter gewordene weiße Haar zog und aus wässrigen blauen Augen zu dem Digitalwecker auf ihrem Nachttisch blinzelte. Fast Mitternacht, weit über ihre übliche Zubettgehzeit hinaus.
Ihre alten Gelenke schmerzten, als sie vorsichtig in das klapprige Doppelbett stieg und sich auf der verschlissenen Matratze herumrollte, um das Nachtlicht auszuschalten. Das Geräusch der rostigen Federn erfüllte die Dunkelheit, als sie sich mit einem dünnen Laken zudeckte und die erschöpften Augen schloss, während sie sich verzweifelt nach den guten alten Zeiten zurücksehnte. Manchmal half es ihr, die Schmerzen zu vergessen. In guten Nächten vergaß sie sogar für kurze Zeit ihre Einsamkeit.
Leise Musik driftete sanft durch ihren Kopf, als sie langsam in der Zeit zurückschwebte und wieder zu der eleganten Tänzerin von damals wurde, die über die gebohnerten Dielen schwebte wie eine in Spitze gehüllte Elfe, von den Männern verehrt, von den Frauen beneidet.
Je tiefer Mary Ellen in die schmerzfreie Welt ihrer Träume glitt, desto zufriedener wurde das Lächeln, das ihre verschrumpelten Lippen umspielte.
Es sollte das letzte Lächeln in einem erfüllten Leben sein, das vor langer, langer Zeit voller Lächeln gewesen war.
6.
Dana verließ den heruntergekommenen Apartmentkomplex auf der East Side und bahnte sich einen Weg durch das unersättliche Pressekorps, das sich über den Parkplatz ergossen hatte. Die Fragen prasselten aus allen Richtungen auf sie ein, als sie zu ihrem Mazda Protege eilte.
Ein Mann mit perfekter Frisur kämpfte sich aus dem Rudel der Reporter und hielt ihr ein Mikrofon vors Gesicht. »Special Agent Whitestone!«, rief er. »Ich bin Chip Hall von Channel Three News. War dieser Mord das Werk des Cleveland Slashers?«
Dana blinzelte im Licht der grellen Scheinwerfer. Sie konzentrierte sich auf die perfekt gezupften Augenbrauen des Mannes, weil sie ihn nicht ermutigen wollte, echten Blickkontakt herzustellen; zugleich wollte sie nicht ausweichend erscheinen, wenn das Interview in den Dreiundzwanzig-Uhr-Nachrichten gesendet wurde. »In ungefähr zwei Stunden findet eine Pressekonferenz statt«, sagte sie mit fester, energischer Stimme, während sie ihren Weg fortsetzte. »Mehr kann ich im Augenblick nicht dazu sagen.«
Sie betätigte die Fernbedienung der Zentralverriegelung und stieg in den Wagen. Behutsam setzte sie durch die Menschenmenge zurück, um vom Parkplatz zu fahren, peinlich darauf bedacht, bloß niemandem über die Füße zu fahren. So etwas konnte sie jetzt am wenigsten gebrauchen.
Als Dana auf dem Heimweg auf die Interstate 90 auffuhr, stiegen in ihr die ersten Schuldgefühle wegen der kleinen Notlüge auf, die sie vorhin benutzt hatte. Es würde keine Pressekonferenz geben, weder in zwei Stunden noch zu einem späteren Zeitpunkt. Manchmal musste
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