Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
gering«, sagte er. »Es muss sich um einen Ausschnitt aus einem größeren Bild handeln, da gibt es kaum einen Zweifel.«
»Sind Sie fertig mit Dokumentieren?«, fragte Dana. Fotos waren in der Regel wichtige Beweise, wenn es zur Gerichtsverhandlung kam.
»Ja.«
Sie nickte und schob das Foto in einen braunen A4-Umschlag, den sie anschließend beschriftete. »Rufen Sie im Krankenhaus an und erkundigen Sie sich bei der Mutter der Toten, ob das Foto hierhergehört.«
»Bin schon unterwegs, Ma’am.«
Während Freeman sich entfernte, schob Dana sich eine lose Strähne ihrer kurzen blonden Haare hinters Ohr und genoss das kitzelnde, beinahe berauschende Gefühl im Magen. Der Adrenalinschub, den derart grausige Mordschauplätze hervorriefen, hatte in den dreizehn Jahren, die Dana diesen Job nun schon machte, kein bisschen nachgelassen, und das würde wohl auch nie der Fall sein. Die kranke Psyche dieser Killer übte eine beinahe morbide Faszination auf sie aus. Es war wie bei einer Massenkarambolage auf der Autobahn – jeder wusste, dass er nicht bremsen und gaffen sollte, aber wer konnte schon widerstehen?
Freeman klappte sein Handy wieder zu. »Das Bild gehört nicht ins Haus«, sagte er. »Die Pfleger und Schwestern konnten die Mutter des Mädchens lange genug beruhigen, um eine Antwort von ihr zu bekommen. Sie kennt das Foto nicht.«
Dana kaute auf der Unterlippe und befingerte unbewusst das kleine goldene Kruzifix, das an einer dünnen Kette um ihren Hals hing. »Und Sie meinen, das Bild wurde mit Photoshop bearbeitet?«
»Ja.«
»Können wir herausfinden, was das Original zeigt?«
Freeman schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Datenbank für derartige Dinge. Es ist nicht so, als könnte man danach googeln.«
»Dann haben wir keine Möglichkeit, das vollständige Bild irgendwo aufzuspüren?«
»Nicht, solange niemand das Motiv erkennt.«
»Ich nehme nicht an, dass Sie es erkennen?«, fragte Dana hoffnungsvoll.
Wieder schüttelte Freeman den Kopf. »Nein, Ma’am. Ich erkenne es nicht, tut mir leid.«
Dana dankte ihm, ging zu Templeton und zog ihn auf die Seite. Die ersten vier Autopsien waren kaum mehr als rasche visuelle Überprüfungen gewesen; die Todesursache war ziemlich offensichtlich gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass der Coroner vom Cuyahoga County ein tattriger alter Dummkopf war, der sich noch nicht damit angefreundet hatte, dass das FBI ihm neuerdings sagen durfte, was er zu tun hatte. Doch Dana wollte sicher sein, dass der Mann in diesem Fall genauer hinschaute. »Lassen Sie uns diesmal eine vernünftige Obduktion machen, Gary«, sagte sie. »Es ist mir egal, was dieses Arschloch Johnson sagt – gehen Sie zu einem anderen Coroner, wenn es sein muss, aber veranlassen Sie eine vollständige Obduktion.«
Templeton nickte. »Wird gemacht.«
Dana atmete tief durch, als Templeton sich auf den Weg machte. Sie fragte sich, was aus der nervösen Anfängerin von vor mehr als einem Dutzend Jahren geworden war. Damals hatte sie Angst gehabt, jemandem auch nur in die Augen zu schauen, und heute? Heute war sie eine Frau, die es gewohnt war, dass man ihre Anordnungen befolgte, ohne Fragen zu stellen. Deshalb wusste sie, dass Templeton ihrem Wunsch nachkommen und für eine gründliche Obduktion sorgen würde. So etwas war bei manchen Gesetzesbeamten, mit denen Dana in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatte, nicht immer selbstverständlich gewesen. Trotzdem sorgte sie sich, dass sie etwas übersah, wenn sie die Arbeit nicht selbst erledigte. Wie dem auch sei – der Unterschied zwischen der Dana von damals und heute hätte größer kaum sein können. Und dafür war sie dankbar.
Nach den anfänglichen Wachstumsschmerzen war Danas kometenhafter Aufstieg das Gesprächsthema beim FBI gewesen und hatte bei manchen Leute Respekt, bei anderen Missgunst geweckt. Jahrgangsbeste an der FBI-Akademie in Quantico. Vom legendären Profiler Crawford Bell als Partnerin im Einsatz vor Ort bestimmt, bevor Crawford aus Altersgründen in eine Dozentenrolle verbannt und Danas Ehrgeiz sie dazu veranlasst hatte, eigene Wege zu gehen. Damals war sie in das Cleveland ihrer Jugend zurückgekehrt.
Während dieser Zeit war es Dana nie leichtgefallen, Verantwortung zu delegieren. Es war ihre größte Stärke und ihre größte Schwäche zugleich. Mochte sie nach Meinung einiger Kollegen ein Ass sein (und nach Meinung vieler anderer eine Paragraphenreiterin, die alles, aber auch wirklich alles nach den Vorschriften
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