Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
morgen in aller Herrgottsfrühe ins Flugzeug steigen, und ich habe eine Verabredung. Ich werde dafür sorgen, dass man Ihnen zwei Zimmer im Radisson reserviert, und ich lasse Ihre Flüge buchen, damit Sie sich nicht auch noch damit beschäftigen müssen. Sehen Sie zu, dass Sie sich ausschlafen.«
Fünfundvierzig Minuten später – nachdem sie sich für den nächsten Morgen zum Frühstück mit Brown verabredet hatte – betrat Dana ihr Hotelzimmer. Sie blieb noch zwei Stunden auf, um sich in die Details von Richard Ramirez’ grausigen Morden einzuarbeiten, bis ihr die Augen zuzufallen drohten. Endlich kroch sie ins Bett und zog die Decke bis zum Kinn hoch.
Ihre Gedanken kreisten um die Ereignisse der vergangenen Tage – wenn sie sich nicht mit ihrer eigenen grausamen Kindheit befassten. Sie fragte sich, ob diese beiden Dinge möglicherweise in irgendeinem Zusammenhang standen. Vielleicht wäre es nicht allzu überraschend. Dana wusste von einem weiteren kleinen Mädchen, das vor langer Zeit eine furchtbare Begegnung mit einem Serienkiller gehabt hatte. Einem kleinen Mädchen, das immer noch im eigenen Kopf gefangen war und verzweifelt nach Gerechtigkeit schrie.
Sie drehte sich auf die Seite und rückte das Kopfkissen zurecht. Ihre Augenlider sanken herab. Langsam trieb sie in der Zeit zurück bis zu der einen kostbaren, glücklichen Erinnerung aus ihrer Kindheit, die nicht über und über mit Blut besudelt war.
12.
West Park, Cleveland,
4. Juli 1976
Die Abenddämmerung hatte eingesetzt. James Whitestone stand vor dem rostigen Grill und bereitete Hotdogs und Hamburger zu, wendete sie mit geschickten Handbewegungen und deutete dann mit dem Heber zum Sandkasten, wo Dana spielte, seine frühreife, hochintelligente kleine Tochter. Er blickte seine Frau an und fragte dann so leise, dass ihr einziges Kind es nicht hören konnte:
»Meinst du, wir können ihr eine Wunderkerze geben, wenn es ganz dunkel geworden ist?«, fragte er. »Sie geht mir damit schon seit Wochen auf den Wecker.«
Sara Whitestone zog die Sonnenbrille herunter und hob eine perfekt gezupfte Augenbraue. »Ah, richtig, James. Du bist derjenige, der mir seit Wochen damit auf den Wecker geht, und das weißt du sehr genau.«
Ihr Mann grinste sie an. Er sah absolut lächerlich aus in seiner Küss-den-Koch -Schürze, die ausgezeichnet zu ihm passte. James Whitestone war der mit Abstand gutmütigste Trottel auf dem gesamten Planeten – was genau die Eigenschaft war, die Sara so sehr an ihm liebte.
»Komm schon, Honey«, bettelte er. »Was sagst du? Es macht bestimmt einen Riesenspaß. Tu nicht so, als wäre es anders.«
Sara stieß einen leisen Seufzer aus. Sie wusste, dass sie die Auseinandersetzung bereits verloren hatte. Dana war Daddys ausgemachter Liebling, und er schlug ihr niemals etwas aus, das nicht gefährlich für sie war. Wahrscheinlich das Ergebnis seiner eigenen Kindheit als jüngster von fünf Söhnen eines strenggläubigen Presbyterianerpriesters, dem es sicherlich gefallen hätte, wäre das Spielen unter die Todsünden aufgenommen worden. »Also schön, du großes Weichei«, gab sie endlich nach. »Aber du bringst sie ins Krankenhaus, wenn ihre Haare Feuer fangen.«
Das schiefe Grinsen ihres Mannes wich einem glückseligen Lächeln, während er die fünf Meter zwischen dem Grill und dem Liegestuhl, in dem sie saß, mit drei langen Schritten hinter sich brachte. Er beugte sich vor und küsste sie auf den Kopf. »Du meinst, so wie meine Mom zu mir gesagt hat, dass ich nicht zu ihr gerannt kommen soll, falls ich mir das Bein breche?«
Sara lachte und boxte ihm gegen einen seiner baumstammdicken Oberschenkel. »Verdammt richtig, darauf kannst du wetten. Mütter wissen immer genau, wovon sie reden. Das ist uns angeboren.«
James stöhnte übertrieben, als er sich aufrichtete – als hätte allein die Anstrengung des Hinunterbeugens genügt, um sich den Rücken zu zerren.
Sara Whitestone war eine bemerkenswert kleine Frau – eine Eigenschaft, die Dana von ihr erben sollte. Kaum größer als eins fünfzig und nicht ganz fünfundvierzig Kilo leicht – auch wenn ihre Gegner vor Gericht, wo sie als Prozessbevollmächtigte für die Anwaltskanzlei Smith, Frey und Bogner auftrat, nie den Eindruck von Winzigkeit gewannen, im Gegenteil. Ihre Statur kam einfach nicht zum Tragen, wenn sie vor einer Jury stand, den Geschworenen Feuer unter dem Hintern machte und sich vor aller Welt als das präsentierte, was sie war: eine intellektuelle
Weitere Kostenlose Bücher