Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
Dana war nicht sicher, ob sie sich alles nur eingebildet hatte.
Fünf Minuten später war die Vorlesung zu Ende, und Crawford entließ die Studenten mit einer raschen Handbewegung. Der goldene Ehering blitzte im Licht der Deckenscheinwerfer. Crawford mochte seit mehr als dreißig Jahren Witwer sein, doch der Ring hatte seinen Finger nicht einmal verlassen. Man konnte Danas Mentor und früherem Partner vieles nachsagen – Untreue mit Sicherheit nicht.
Er nickte Dana grüßend zu, als sie auf das Podium im Hörsaal stieg und zu ihm ging. Er schien beinahe überrascht, dass sie tatsächlich gekommen war, was sie vorübergehend entwaffnete. Dann wandte er sich um und stellte sie einem dünnen Mann mit braunem Haar und sommersprossigem, jungenhaftem Gesicht vor, der bei ihm stand.
»Special Agent Dana Whitestone, das ist Special Agent Jeremy Brown.«
Dana und Brown schüttelten sich die Hand.
Kurz angebunden wie immer kam Crawford gleich zur Sache. »Nachdem wir uns nun miteinander bekannt gemacht haben, könnten Sie, Jeremy, Dana vielleicht kurz informieren, was wir bisher gefunden haben?«
Brown räusperte sich. »Jawohl, Sir. Selbstverständlich.« Er wandte sich Dana zu. »Eine sehr merkwürdige Entwicklung in L. A., Dana … ich darf Sie doch so nennen?«
»Natürlich. Sparen wir uns die Förmlichkeiten.«
»Gern. Sagen Sie Jeremy zu mir.«
Er sprach in abgehackten, nüchternen Sätzen, als er die Einzelheiten aufzählte. Es war nicht die Zeit für belanglosen Smalltalk. »Gestern Nacht wurde in South Central eine neunundsiebzig Jahre alte Frau brutal ermordet. Sie lebte allein in einer Erdgeschosswohnung. Der Sohn des Opfers wohnt eine Etage höher. Der Angreifer drang durch ein offenes Fenster ins Wohnzimmer ein und vergewaltigte die Frau mit einem Messer. Er hat ein Fahrzeug am Tatort zurückgelassen – ein gemietetes Audi A4 Cabrio. Der Wagen wird zurzeit von der Spurensicherung untersucht. Eine erste vorläufige Überprüfung ergab eine Fehlanzeige. Das Fahrzeug wurde vergangenen Freitag an einen gewissen Darrell Wayne Baxter aus Marin County vermietet. Das Problem ist, besagter Darrell Wayne Baxter verstarb bereits vor zwei Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Nach dem Mord konnte der mutmaßliche Täter zu Fuß einer Menschenmenge entkommen, die Jagd auf ihn machte. Erinnert Sie das an etwas?«
»Der Night Stalker«, sagte Dana und spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten. »Es passt perfekt. Ein Nachahmer?«
Crawford blickte in den Saal, als wäre er in Gedanken verloren. Dann lockerte er den perfekten Windsor-Knoten seiner seidenen Krawatte und nickte. »Genau das habe ich auch gedacht, Dana. Bitte fahren Sie fort, Jeremy.«
»Ja, Sir.« Brown wandte sich wieder Dana zu. »Es ist eigenartig, aber wir haben eine Plastiktüte gefunden, die an die Wohnzimmerwand der Toten geheftet war. Die Art von Tüten, die man in einem Minimarkt bekommt.«
Dana runzelte die Stirn. »Crawford hat mir davon erzählt. Hatte die Tüte denn keine Beschriftung? Aus welchem Laden stammt sie?«
Brown schüttelte den Kopf. »Das wissen wir nicht. Keine Beschriftung. Einfaches blaues Plastik. Es gibt keine Möglichkeit, sie zurückzuverfolgen. Zumindest keine, die mir bekannt wäre. Ich habe von den Buchstaben in der Vagina des kleinen Mädchens in Cleveland gehört. Die Anagramme, die Sie daraus zusammengesetzt haben, scheinen eine Verbindung zwischen den Fällen herzustellen.«
»Oder wir interpretieren zu viel in die Sache hinein«, sagte Dana. »Diese Indizien sind eigentlich gar keine. Wie dieses Bild in Cle…«
Sie unterbrach sich abrupt und drehte sich zu Crawford um. »Ich weiß, was für ein Bild das ist!«, rief sie aus. »Verdammt, ich weiß genau, was für ein Bild das ist!«
Crawford blickte sie verwirrt an. »Wovon reden Sie?«
»Kommen Sie mit«, erwiderte Dana. »Ich habe etwas, das Sie beide unbedingt sehen müssen.«
Sie führte Crawford und Brown aus dem Hörsaal und über den Campus zu einem Ort, an dem sie während ihrer Zeit als Studentin an der FBI-Akademie Hunderte von Stunden verbracht hatte.
Die Bibliothek des FBI befand sich in einem vierstöckigen Gebäude im Zentrum der Anlage. Sie war der Nabel sämtlicher Aktivitäten an der Akademie. Vier Lesesäle im Erdgeschoss boten bequeme Sessel für Leser. Auf der zweiten Etage befand sich die Büchersammlung. Überall im Gebäude standen Computerterminals.
Dana, Crawford und Brown saßen vor einem der Terminals. Zwei Dutzend
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