Töte mich - Osborne, J: Töte mich - Kill Me Once
hämisch hinterher. »Noch Fragen, Schreiberling?«
Als Nathan sich wieder so weit gefangen hatte, dass er seine Nachforschungen weiterführen konnte, informierte ihn der Coroner, dass man dem Opfer den Kopf abgeschnitten hatte, weil es sich auf das Territorium eines rivalisierenden Drogendealers vorgewagt hatte, um dort Geschäfte zu machen.
»Typisch für diesen Laden«, sagte der Coroner im Vertrauen zu Nathan. »Versprechen Sie mir eins, Sohn – nie in so einem Laden zu wohnen. So was passiert ständig in diesen Absteigen.«
Nathan versprach ihm, sich an seinen Rat zu halten.
Wie das Schicksal es wollte, hatte der Fotograf, den man Nathan an jenem Tag zugewiesen hatte, um alles festzuhalten, den gesamten peinlichen Zwischenfall Bild für Bild fotografiert. Als Nathan eine Stunde später in den Redaktionsraum zurückkehrte, wurde er vom lauten, schadenfrohen Gelächter seiner Kollegen überrumpelt.
Zutiefst erschrocken entdeckte er die Bildergeschichte im Zentrum des Raums am großen Schwarzen Brett, wo irgendjemand die Vergrößerungen angeschlagen hatte:
Nathan, wie er sich mit Notizblock in der Hand der Schwarzen nähert.
Der Ausdruck von Verwirrung im Gesicht der älteren Frau.
Nathans Beileidsbekundung.
Die verrutschten Gesichtszüge der Frau, die Dose Dr. Pepper, die ihr aus der Hand fällt, und die Spritzer daraus, die Nathans weißes Hemd besudeln.
Der Moment, in dem die Frau zu Boden geht.
Nathan, wie er sich verlegen vorbeugt, um ihr wieder auf die Beine zu helfen.
Das letzte Bild zeigte, wie die Frau, die von ihren Freundinnen zum Wagen geführt wird, einen letzten Blick über die Schulter zu Nathan Stiedowe warf – dem Mann, der ihr soeben die Botschaft überbracht hatte, dass ihr einziger Sohn ermordet worden war.
Nathan wusste, dass dieses Bild für immer in sein Gedächtnis eingebrannt bleiben würde. Eine Zeit lang hatte es ihn bis in den Schlaf verfolgt.
Aber das war lange her. Heute störte es ihn kaum noch.
Nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten hatte Nathan sich ständig weiterentwickelt und war bald einer der Top-Reporter in der Stadt gewesen – ein großer Fisch in einem zugegebenermaßen sehr kleinen Teich. Es hatte nicht lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass die Redakteure, die ihn nach Belieben herumschubsten, nicht aufgrund ihres journalistischen Talents auf ihren Posten saßen.
Nein – in den meisten kleineren Zeitungsredaktionen überall im Land stiegen sie allein dadurch in der Hierarchie nach oben, dass sie lange genug bei ein und demselben Käseblatt blieben und bei jämmerlicher Bezahlung tagein, tagaus beschissene Storys am Fließband herunterschrieben, bis nichts anderes mehr übrig blieb, als sie zu befördern. Nathan entdeckte überdies sehr rasch, dass es in der großen weiten Welt der Zeitungen ständig und überall irgendein Arschloch gab, das einen herumzukommandieren versuchte, obwohl es keinen blassen Schimmer von dem Job hatte.
Als der Plain Dealer ihn ein Jahr später abzuwerben versuchte, wechselte Nathan, ohne nachzudenken, das Schiff und zog nach Cleveland. Die verbitterten Lebenslänglichen in Shockley sagten nicht einmal Lebewohl, als er an seinem letzten Tag aus der Tür marschierte, doch es war ihm egal. Ihre Strafe war ihr Job, die einzige Station in ihrem langweiligen Dasein. Sie steckten fest. Er nicht. Er hatte Talent. Sie nicht. Sie hassten ihn dafür, und er lehnte ihr Nichtskönnen ab. Es war eine höllische Paarung.
Beim Plain Dealer ging es mit Nathan dann endgültig bergauf. Die Dinge waren professioneller, und die Verantwortlichen schienen die meiste Zeit zu wissen, worüber sie redeten. Es dauerte nicht lange, bis Nathan sich in den westlichen Vororten von Cuyahoga County einen Namen gemacht hatte.
Dann lernte er Kelly kennen, eine hübsche kleine Praktikantin von der Walsh University. Der Rotschopf war ihm zum ersten Mal aufgefallen, als sie ihren Schreibtisch ordentlich aufgeräumt hatte. Es war ein kühler Frühlingstag gewesen. Sie gehörte offensichtlich zu denen, die Unordnung nicht ausstehen konnten und die ein verirrtes Blatt Papier vom Boden aufheben mussten, wenn es zufällig in ihren Blickwinkel geriet. Das zog ihn so stark und beharrlich an wie Kerzenlicht eine Motte.
Drei Monate lang trafen sie sich regelmäßig, bevor Nathan ihr in der Küche seiner kleinen Wohnung einen Antrag machte. In der Stereoanlage im Wohnzimmer lief The Rainbow Connection , ihr Lieblingslied, als er vor Kelly auf ein
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