Töte, wenn du kannst!: Kriminalroman (German Edition)
aparte Frau, erkannte Selma. Noch ein Foto von Tinka als Teenager im weißen Gewand mit Lichterkrone. Lucia mit dem Licht im Haar. Selma musste lächeln. Ja, Tinka war ganz gewiss das Vorzeigeexemplar einer nordischen Lichterkönigin. Selma war nie die Lucia gewesen, weder im Kindergarten noch in der Schule. Es hatte stets nur zur Sternenträgerin gereicht, meistens recht weit hinten im Zug.
Und silbergerahmt der Sohn, Gunnar Nordin: einmal brav gescheitelt neben einer adäquaten Blondine und einem kleinen Jungen und ein zweites Mal in einem Anzug vor dem Säulenportal der Stockholm School of Economics. Gunnar sah seinem Vater sehr ähnlich, besonders, wenn man das erste Bild mit dem Hochzeitsfoto von Holger und Greta verglich. Sogar die Frauen sahen aus wie Mutter und Tochter.
Dieselbe Kategorie. Gewohnheitstiere.
Noch einmal der kleine Junge, vor einem prunkvollen Weihnachtsbaum, und ein weiteres Mal auf dem Arm von Greta Nordin.
Nirgends ein Foto von Leander Hansson.
Das schwarze Schaf?
Holger Nordin hatte einen Ordner aus der obersten Reihe herausgenommen und legte ihn auf den Schreibtisch. Er setzte sich wieder hin, schob sich eine Lesebrille auf die Cäsarennase und schlug den Deckel auf. Seine Bewegungen waren ruhig und souverän, als hätte er alle Zeit der Welt.
Anscheinend hatte er auf Anhieb die richtige Stelle erwischt, denn er nahm zwei Dokumente heraus und reichte sie Selma rüber.
»Ich hoffe, Sie wissen über Blutgruppen Bescheid«, waren seine Worte.
Irgendetwas läuft da gerade gründlich schief, dachte Selma. Und so war es auch: Das erste Dokument trug den Briefkopf der Universitätsklinik Sahlgrenskas. Ein Laborbericht. Camilla Ahlborg hatte die Blutgruppe A0 und Holger Nordin 00. Ihre Nachkommen hätten demnach die Blutgruppen A0 oder 00 aufweisen können. Das Kind jedoch hatte die Blutgruppe 0B. Das zweite Schreiben stammte vom Gericht. Darin wurde Holger Nordin mitgeteilt, dass die Vaterschaftsklage gegen ihn eingestellt worden war. Selma spürte, wie sie rot anlief. Holger Nordin blickte sie über seine Brille hinweg halb amüsiert, halb tadelnd an.
»Ich weiß nicht, wer der Vater des Kindes ist. Sie ging ab und zu mit einer Studentenclique aus Haga aus, vermutlich ist es einer von denen. Und nur zu Ihrer Information, Frau Valkonen: Ich habe dennoch bis zum Schuleintritt für das Mädchen Unterhalt bezahlt, auch wenn ich erwiesenermaßen nicht ihr Vater bin.«
»Warum denn das?«, entschlüpfte es Selma.
Nordin zuckte die Achseln und nahm die Brille ab.
»Weil ich Camilla mochte, obwohl sie ein berechnendes kleines Biest war. Ich fühlte mich irgendwie für ihr Schicksal verantwortlich. Ja, ich hätte wohl durchaus der Vater dieses Kindes sein können. Nennen Sie mich konservativ, aber ich bin der Auffassung, dass Kinder bis zum Schulalter zu ihren Müttern gehören, und nicht in eine Krippe oder einen Ganztagskindergarten. Um Camilla und ihrem Kind dies zu ermöglichen, habe ich ihr das Geld gegeben. Zwölfhundert Kronen im Monat, das war damals gar nicht wenig. Allerdings musste ich dann erfahren, dass Camilla das Kind bei ihrer Mutter gelassen hatte und in einem Kaufhaus arbeitete. Ich habe mich trotzdem an mein Versprechen gehalten, obwohl ich nie ein Wort des Dankes von Camilla gehört habe. Später dann habe ich sowohl Camilla als auch ihre Tochter aus den Augen verloren. Dass Camilla gestorben ist, ist das Erste, was ich seit über dreißig Jahren von ihr höre.«
Selmas Blick hatte sich während seiner Rede an einem der alten Stiche festgesaugt. Das Thamska Huset, das noch heute an der Norra Hamngatan stand. Niclas Sahlgren, Direktor der Ostindienkompanie, war einer der späteren Eigentümer des Hauses gewesen, und sein Nachlass hatte die Gründung des Sahlgrenska-Universitätskrankenhauses ermöglicht, dessen Labor die Blutproben untersucht hatte. Kleine Welt, dachte Selma.
»Es tut mir leid, dass ich«, sagte sie.
Er winkte ab.
»Es beruhigt mich immerhin, zu hören, dass der Fall meiner Enkelin noch nicht in Vergessenheit geraten ist. Ist das die einzige neue Spur, die Sie haben?«
»Ja«, sagte Selma und stand auf. Geordneter Rückzug!
Nordin erhob sich ebenfalls und ließ es sich auch nicht nehmen, sie bis nach unten zu begleiten. Draußen im Garten atmete Selma erst einmal tief durch, während sie den Tabak aus ihrer Jackentasche hervorholte. Ein silberweißes Knattern zerhackte die vornehme Stille. Greta Nordin saß höchstpersönlich auf einem Rasentraktor
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