Töten Ist Ein Kinderspiel
hatte. Den er nicht haben wollte und dessen Nähe er doch suchte. Der vor ihm davonlief und ihm doch nicht entkommen konnte.
Ein Uhr dreiundfünfzig. Es war soweit.
Im selben Moment sah er ihn neben einer jungen Frau über den Vorplatz auf eines der Gebäude zuschlendern. Er sah gut aus. Wie einer, der es geschafft hatte und sich nicht dafür schämte. Der im Sommer surfen ging und im Winter Ski fahren, der Flugzeuge nahm wie andere Menschen U-Bahnen und nicht an Gott, sondern an den Fortschritt glaubte. Der nun in der Drehtür verschwand, so plötzlich wie er aufgetaucht war: dynamisch, entschlossen und selbstsicher.
Ben sah an sich hinunter. Seit Tagen trug er dieselbe Jeans, seine ehemals blauen Turnschuhe hatten dunkle Flecken. Dabei war ihm sein Aussehen alles andere als gleichgültig. Er legte viel Wert auf sein Äußeres, und das nicht erst, seitdem er begonnen hatte, sich erwachsen zu fühlen. Er verspürte die dringende Notwendigkeit, sich in seiner Kleidung sicher zu fühlen. Für die Uni wählte er Hemden, Pullunder und Jacketts, trug klassische Jeans und Collegeschuhe, weshalb ihn nicht wenige seiner Kommilitonen für konservativer hielten, als er war. In seiner Freizeit bevorzugte er Markenturnschuhe und Jeans, die ihm für den Studienalltag zu verwaschen schienen, einfarbige T-Shirts und Baumwollpullover. Er besaß acht Jacken, für jede Jahreszeit zwei, und eine überschaubare Anzahl von Schuhen, Hosen und Pullis.
Einige hielten ihn für schwul, seit er die Designer-Hornbrille trug, die den weichen Glanz seiner braunen Augen und die langen Wimpern noch betonten. Es störte ihn nicht, es kam ihm sogar entgegen. Er fand, das Image des gepflegten Homosexuellen passte zur Philosophie, jener brotlosen Kunst, die er trotz gut gemeinter Ratschläge seiner Eltern im ersten Semester studierte. Ben Mangold wollte die Welt nicht verändern, er wollte sie verstehen. Und dazu gehörte ein gewisser Abstand zu den Dingen, die er innerlich reflektierte und denen er äußerlich mit einem gepflegten Äußeren Respekt zollte. Kurzum: Er zog sich gerne gut an und das nicht nur, um dem anderen Geschlecht zu gefallen.
Die Tatsache, dass er in einem derart verwahrlosten Zustand hierhergekommen war, machte ihm schlagartig klar, wie unvorbereitet und durcheinander er war. Er müsste sich sehr beeilen, wenn er jetzt noch pünktlich kommen wollte. Doch alles an ihm schien ihn auf dem Mauervorsprung festzuhalten, er konnte sich nicht rühren.
Ich will nicht, stellte er innerlich fest.
Ben Mangold saß still in der Mittagshitze und ließ die Zeit verstreichen. Dachte an den anderen, wie er irgendwo da oben in einem der Büros unruhig auf die Uhr schauen würde, vielleicht zur Tür oder aus dem Fenster sähe und schließlich verstünde, dass seine Verabredung nicht mehr käme. Diese Vorstellung ließ den jungen Mann, dessen tote Mutter gerade am anderen Ende der Stadt von der Gerichtsmedizin zur Bestattung freigegeben wurde, seltsam lächeln.
Sieben
„Mir wird das nicht passieren.“
Hannes war an diesem Tag bleicher als sonst.
„Was?“
„Mich wird keiner daran hindern, mein Leben zu beenden, wenn ich das will. Niemals.“
„Red keinen Unsinn. Warum solltest du dich umbringen?“
Er schwieg, und ich spürte, wie er mir innerlich die Gründe aufzählte.
„Was hättest du gemacht, wenn du damals eine Pistole in der Hand gehabt hättest?“
„Wann?“
„Als die Gestapo vor euch stand.“
„Geschossen“, antwortete ich ohne Zögern.
„Hättest du danach versucht, wegzulaufen?“
Ich habe immer versucht wegzulaufen. Seit ich denken kann. Und ich bin nie angekommen. Wenn man die Angst im Nacken hat, verliert man sein Ziel aus den Augen. Man will fort statt nach Hause.
„Weglaufen bringt es nur, wenn man der Schnellere ist.“ Hannes kramte mit den Füßen umständlich in seiner Umhängetasche. „Macht bei mir gar keinen Sinn.“ Dann beugte er sich nach unten, angelte nach einem Gegenstand und legte etwas Schweres auf den Tisch. „Deshalb hab ich die da.“
Zwischen unseren Teetassen lag bleiern eine Pistole.
„Woher hast du die?“, fragte ich.
„Gefunden.“ Und als ob er mich beunruhigen wollte: „Samt Munition. Sie ist geladen.“
„Hast du keine Angst, dass sie plötzlich losgeht?“
Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich kann damit umgehen.“
„Wozu trägst du eine Waffe mit dir herum?“
„Um zu schießen, wenn es nötig wäre.“
„Auf wen?“
„Auf alle.“
Ich konnte ihn
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