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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Und“, fügte Berger hinzu, „er lügt.“
    „Sehe ich genauso. Übernimmst du das?“
    Wolfram Berger nickte.
    „Auch ein Tipp?“, fragte sie Erkner.
    „Ganz klar: der Ehemann. Er hat nichts mehr zu verlieren und gönnt seiner Frau das Leben nicht. Vielleicht hatte sie ja wieder etwas mit Valero, sorry: Herrn Valero, angefangen, er hat es mitbekommen, sich in seinem Todeskampf verlassen gefühlt und überreagiert.“
    „Überreagiert“, wiederholte Inge Nowak. „Auch ein interessantes Synonym für töten.“ Dann nickte sie. „Der Argumentation kann ich aber folgen. Vielleicht solltest du noch einmal mit Ingo Mangold sprechen, so einfühlsam, wie du bist?“
    „Okay. Gleich morgen, wenn ich sowieso standby für das Altersheim bin?“
    „Alleine auf keinen Fall. Nimm Verónica mit, sie kommt morgen.“ Die Hauptkommissarin hob die Augenbrauen und sagte mehr zu sich selbst: „Zumindest ins Büro.“
    „Prima“, antwortete Erkner und dann, mit einem Seitenblick zu seiner Chefin: „Und wen hältst du für Mr. X?“
    „Ich frage mich, wieso der Sohn mit seiner Mutter seit Wochen nicht mehr geredet hat. Wenn Erika Mangold sich darüber Sorgen gemacht hat, wie die Gemeindehelferin sagt, dann, weil etwas wirklich Dramatisches vorgefallen sein muss. Das sollten wir herausfinden.“
    „Na, dann haben wir ja genug zu tun“, schloss Berger und verkündete: „Ich hol jetzt erst mal Eis.“
    Kannst du mich sehen?
    Mehr als diese Frage brachte sie nicht zu Papier. Das viele Weinen hatte sie erschöpft, eine bleierne Schwere lag auf ihr, dumpf starrte sie aus dem Fenster. Um diese Zeit hätte ihre Mutter gegossen. Wäre zuvor mit dem kleinen, roten Plastikeimer in der einen und der Gartenschere in der anderen Hand durch die Beete gegangen und hätte die verwelkten Blüten abgeschnitten.
    „Auf jedes Sterben kommt neues Leben.“ Das hatte sie gesagt, als der Kälteeinbruch im Frühjahr fast alle Knospen hatte abfallen lassen und sie im April die Sträucher radikal auf ein Minimum kürzte. Kahle Zweige, nackt, kein schöner Anblick.
    „Da kommt doch nie mehr was“, hatte ihr Vater von seinem Terrassenstuhl aus matt gesagt und ihre Mutter hatte lächelnd geantwortet: „Abwarten.“
    Nun stand alles in voller Blüte und sie war tot.
    Tot.
    Sara saß an ihrem Schreibtisch und malte die drei Buchstaben unter die Frage, auf die sie seit zwei Tagen keine Antwort bekam. Je länger sie wartete, umso wütender wurde sie. Wenn ihre Mutter bei Gott war, warum gab sie ihr kein Zeichen, und wenn sie noch nicht bei Gott war, warum gab er ihr kein Zeichen? Und warum hatte keiner von beiden ihr vorher ein Zeichen gegeben? Immer hatte sie die Nähe zu einem der beiden verspürt, ein ganzes Leben lang, Tag und Nacht, nun war der Kontakt abgebrochen. Sie fühlte ihre Füße auf dem Teppichboden, die Unterarme auf der Schreibtischplatte, alles seltsam kühl, trotz der flirrenden Hitze, die sich durch alle Ritzen zwängte. Im Haus war es still, jeder Winkel schien eingeschlossen von dem Schweigen, das über sie hereingebrochen war, ihren schmächtigen Körper ausfüllte, sich immer mehr ausweitete in ihrem Inneren, bis selbst ihre Gedanken leiser wurden.
    Allein.
    Wie ein ungebetener Gast schob sich das Wort von ihrem Kopf in ihr Herz, wo es erschöpft liegen blieb. Wenn ihre Mutter sie verlassen hatte, dann hatte Gott sie verlassen. Der, auf den sie immer vertrauen sollte, der immer an ihrer Seite wäre, der auf sie aufpassen würde, er meldete sich einfach nicht mehr. Seit zwei Tagen und Nächten betete Sara Mangold, und Gott antwortete nicht. Sie hatten Wort gebrochen, beide. Sich aus dem Staub gemacht und ließen sie zurück mit einem verrückten Bruder und einem sterbenden Vater. Als ob sie nicht wüsste, was los war!
    Es war die erste Lüge, die sie ihr hatten auftischen wollen:
    „Vati wird wieder gesund, mein Schatz.“
    Wahrscheinlich hatte ihre Mutter längst gewusst, dass auch sie sterben musste. Wenn sie wirklich mit Gott reden konnte – wieso hatte sie ihr nichts davon gesagt? Vielleicht war sie deshalb in letzter Zeit so oft in der Kirche gewesen, um mit ihm zu diskutieren. Den Zeitpunkt zu verschieben.
    „Gott holt die Menschen zu sich, wenn es an der Zeit ist. Er hat seine Gründe.“
    Und wann holt er mich? Oder holt er mich gar nicht? Will er mich gar nicht?
    Der Magen des Mädchen zog sich zusammen. Sara hatte nichts von dem angerührt, was der Vater ihr zum Essen vor die Tür gestellt hatte, seit sie sich

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