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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Polizei?“
    Schweigen.
    Verónica kämpfte gegen die Tränen. Sie hatten sich selten so heftig gestritten. Eigentlich war ihr danach, einfach aufzulegen. Doch sie wusste zu gut, dass sie selbst nach ein paar Minuten wieder anrufen würde.
    „Nimm das zurück“, sagte sie stattdessen leise.
    Inge atmete schwer am anderen Ende. „Okay, das war drüber.“
    Gegenüber dem Hotel entdeckte Verónica beim Blick durch das Fenster ein italienisches Restaurant mit einer Terrasse. Auf den weiß gedeckten Holztischen standen Windlichter mit großen Kerzen, die den kleinen Platz am frühen Abend in rötliches Licht tauchten. Hölzerne Pfeffermühlen und Olivenölflaschen in unterschiedlicher Form und Größe auf einem Beistellwagen deuteten ebenso auf gutes Essen wie die Wein trinkenden Gäste vor großen Tellern und Schüsseln.
    „Können wir bei einer Pasta weiterstreiten?“
    „Wenn ich sie nicht kochen muss.“
    „Knesebeckstraße, Ecke Goethe.“
    „Wann?“
    „Gleich.“ Verónica musste ungewollt grinsen. „Und bring deine Zahnbürste mit.“

Zehn
    Die Bussarde mussten in jenem Jahr viele Junge bekommen haben, sie kreisten jetzt öfter über dem Feld, dessen Halme sich hochgewachsen im leichten Wind wiegten. Nur Vogelaugen konnten sehen, was sich dort unten am Boden bewegte, stets auf der Hut, nicht ins Visier zu geraten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich noch mehr Gefederte steil vom Himmel gen Erde stürzen würden, ihre scharfen Krallen blitzschnell durch weiches Fell in zitterndes Fleisch zu schlagen. Aus den unerbittlichen Klauen gab es kein Entkommen, so sehr sich die sich windenden Leiber auch wehren mochten. Stoisch transportierten die Bussarde ihre Beute unter sich ab, gelangweilte Sieger, die an einem sicheren Ort die lebendigen Leiber zerrissen und verschlangen.
    Was dem einen die Not, dem andern die Pracht, so stand es in Erdmanns Hof gemeißelt, und ich habe nie begriffen, ob Ritas Vater den Spruch über dem Scheunentor als Rat oder Warnung verstanden haben wollte.
    Plötzlich schreckten die Bussarde auf. Ein Motorengeräusch hatte sie vertrieben. Ich sah den Mähdrescher herauffahren und versteckte mich. Die Sonne brannte unerbittlich auf den goldgelben Weizen, während Udo Erdmanns Vater die Messer auf den Boden setzte, die Maschine in Position brachte und in Bewegung setzte.
    Das hatte ich nicht gewollt.
    Eine Weile zog der Mähdrescher gleichmäßig seine Bahnen über das Feld, doch dann kam er ins Stocken. Ich konnte förmlich fühlen, wie die Räder über eine Erhebung glitten, wie Ritas Bruder kräftig Gas geben musste, um weiterzukommen, und dann merkte, dass der Widerstand weiter hinten vor den rotierenden Schneideflächen zu groß war. Wahrscheinlich ein Stück Holz, ein Kaninchen oder ein Fasan, wird er gedacht haben, und ich hätte ihm den Anblick der Wahrheit lieber erspart. Wie gern hätte ich den lebensfrohen Schwung, mit dem er auf den Boden federte in ein harmloses Hindernis überführt, das im Weg gelegen hätte. So aber hatte ich genau vor Augen, wie er um das Schneidwerk herumging und sich bückte, ungläubig auf das starrte, was vor ihm lag. Wie er allmählich begriff, was die Bussarde so verrückt gemacht hatte, und das verdrehte, blutige Bündel Mensch als seinen Sohn erkannte.
    Der Junge war nicht zur verabredeten Zeit gekommen. Ob er zur Polizei ging? Und wenn schon. Sie konnten ihm nichts beweisen. Auch wenn er ein Motiv hatte. Das reichte nicht.
    Im Grunde war es ihm gleichgültig, ob man ihn verdächtigte oder nicht. Das einzige, was ihn interessierte, war der Junge. Ben. War es Ironie des Schicksals, dass sie ihn „Sohn der rechten Hand“ genannt hatte? Die Rechte war die glückliche Hand. Benjamin war also ein Glückskind. Sein Pech, dass er ihn gesehen hatte.
    Er hatte Erika nicht in die Kirche folgen wollen und stand dann doch plötzlich vor ihr.
    „Was willst du schon wieder hier?“
    „Erklär es mir.“
    „Da gibt es nichts zu erklären.“
    „Du hattest kein Recht dazu.“
    Sie hatten diese Diskussion nicht zum ersten Mal geführt. Er wollte verstehen und sie nichts erklären.
    „Warum kannst du mich nicht ein für alle Mal in Ruhe lassen. Du hast mir genug angetan.“
    „Ich dir angetan? Und was hast du mir angetan? Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?“
    Sie drehten sich im Kreis, wie Menschen sich umkreisen, die vor ihren Wunden fortlaufen wollen.
    Er verstand sich selbst nicht mehr. Bis vor ein paar Wochen schien in seinem Leben alles

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