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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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nichts mehr. Ich hatte ihn mit vorgehaltener Waffe in das Weizenfeld geführt und hingerichtet. Im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Ob es mir leid getan hat? Vielleicht hätte es das. Wenn ich Hannes danach hätte in die Augen sehen müssen. Ihm hätte erklären sollen, warum ich getötet hatte, obwohl ich doch wusste, dass der Tod keine Rettung war. Doch dazu kam es nicht.
    Ich habe mir unzählige Male vorgestellt, was in Hannes vorgegangen sein muss. Wie lange überhaupt noch etwas in ihm vorgegangen war, bevor es dunkel wurde um ihn.
    Während das Schicksal meine Spuren verwischte und die Aufmerksamkeit des Dorfes auf das Geschrei des alten Erdmann lenkte, der sich auf Krücken zu der Stelle geschleppt hatte, an dem sein Enkel unter die Messer seines Sohnes geraten war, währenddessen hatte Hannes seinen letzten Weg bereits angetreten.
    Er war an diesem Morgen, hieß es, früh aus dem Haus gegangen, hatte seinen grünen Army-Rucksack geschultert, seine Mutter wollte nichts Auffälliges an ihm bemerkt haben. Er hatte sich wie jeden Tag von ihr bis zum Abend verabschiedet, die Tür leise hinter sich zugezogen und war in die Felder gelaufen. Er tat das oft.
    „Draußen bin ich frei, es zieht mich immer nach oben.“
    Ich frage mich, ob er ein letztes Mal über die Landschaft hatte blicken wollen, deren Horizont er leichtfüßig hätte überschreiten können, wenn man ihm das Rückgrat nicht gebrochen hätte. Wirbel für Wirbel hatte er um sein Aufrechtsein gekämpft, als ihm das Wasser bis zum Halse stand, muss er den Schmerz in der Brust nicht mehr ausgehalten haben.
    Der Mensch steht solange wieder auf, wie seine Seele sich nicht für ihn schämt. Wenn die Scham sich mit der Ausweglosigkeit verbündet, gibt der Körper auf. Will vergessen sein. Ich habe sie alle fallen und wieder aufstehen sehen. Fallen und wieder aufstehen. Fallen und liegen bleiben.
    Hannes war auf Nummer sicher gegangen. Vielleicht hatte er gefürchtet, im Angesicht der letzten Wahrheit den Mut zu verlieren, Angst gehabt, dass der Horror ihn zu einer Vernunft bringen könnte, die ihn an seine tiefe Liebe zum Leben erinnert hätte.
    Man fand ihn an einen Baum gekettet, der mit ihm verbrannte.
    Ein kleines Vorhängeschloss hielt die stählerne Ösen zusammen, mit Handschellen hatte er seine Füße an den Stamm gefesselt. Ich sehe ihn, wie er auf dem Boden liegt. Wie lange mag er da gelegen haben, bevor er den winzigen Schlüssel zwischen seinen Zehen fallen ließ? Wie lange seinen Kopf auf dem trockenen Waldboden gerieben haben und in den Baumwipfel gestarrt, bevor er seine getränkten Kleider mit einem Feuerzeug entzündete? Wie lange die Zähne zusammengebissen bis zum ersten Schrei? Wie lange sich aufgebäumt gegen die Flammen, gezerrt und um sich geschlagen, bis sich der unaushaltbare Schmerz schließlich in Ohnmacht verwandelte, bis sich der Brand in ihm ausbreitete auf das Laub, die Äste, die Erde, die ihm keine Heimat war?
    Als ich den Funken versprühte, der seine Glut neu entfachen sollte, war sein Feuer schon erloschen.
    Ich hörte beim Bäcker davon.
    „Dem Hoffmann Hubert seiner. Der Contergan. Hat sich mit Benzin übergossen und angezündet. Bei lebendigem Leib. Der Förster hat das Feuer bemerkt. Zu spät. Ein paar Meter weg sein Personalausweis. Sonst nichts.“
    Es ist schwer, einen wilden Vogel zu beerdigen, denn er ist so leicht, dass er zum Engel wird, bevor seine Seele sich verabschiedet.
    Ich bin vielen Lebensmüden begegnet: Sie lösen sich von einem auf den nächsten Augenblick auf, eben waren sie noch da, auf der Pritsche, vor der Baracke im Morgenlicht oder im Dreck. Schwache Körper, näher am Tod als am Leben, gebrochene Schwingen, die keine Träume mehr in den Himmel tragen. Und doch bin ich immer sicher gewesen, dass sie am Ende dort ankommen würden, taumelnd wie Federn, ohne Ziel, erleichtert, endlich zu schweben.
    Hannes’ Sarg war weiß, und er hätte darüber gelacht.
    „Wir Behindis sollen immer rein und unschuldig sein! Als ob wir keiner Fliege etwas zu Leide tun könnten.“
    Der Pfarrer redete von Schuld und Vergebung, die Gräber der beiden Jungen lagen einen Steinwurf voneinander entfernt. Zwischen den Kieseln auf dem Weg wuchs Unkraut, und die Schritte derer, die ihre Kinder verloren hatten, säten Hass dazwischen.
    Das ganze Dorf dachte, was keiner auszusprechen wagte.
    Zwei Wochen spielte ich mit dem Gedanken, mich zu stellen. Oder auf die Jagd nach den beiden anderen zu gehen.
    Dann erinnerte

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