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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Zum ersten Mal war ich diejenige, die den Tod bestellte, und nicht umgekehrt.
    Bevor die Polizei kam, hatte er das Grundstück über den Garten verlassen. Seine Tante würde sich um Sara kümmern. Er war erwachsen. Er brauchte niemanden. Und ab jetzt war er ohnehin auf sich selbst gestellt. Das Haus würde sicher ihm und seiner Schwester zu gleichen Teilen gehören. Er könnte es ohne ihr Einverständnis nicht verkaufen. Bis sie volljährig wäre, würde sie einen Vormund bekommen, mit Sicherheit Mathilde. Am besten ginge sie mit ihr nach England, und er würde alleine hierbleiben. Oder spielten sie etwa mit dem Gedanken, alle hierherzukommen: sein unausstehlicher Cousin Edward, sein Onkel Mike und der zottelige Köter mit dem schwachsinnigen Namen Einstein? War er es, der gehen musste, und würde man ihm genug Geld ausbezahlen, um sich eine eigene Wohnung zu mieten? Kaufen, dachte Ben, kaufen ist viel besser als mieten. Oder ich ziehe in ein Studentenwohnheim. Als Vollwaise bekomme ich mit Sicherheit genug BaFöG, um meinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Und wenn nicht, dann gibt es ja noch Estebán.
    Die Menschen am See packten allmählich ihre Badesachen, setzten sich auf ihre Fahrräder oder in ihre Autos und traten den Weg nach Hause an. Wo eine Familie oder Freunde sie erwarteten, um mit ihnen zu grillen, fernzusehen oder auszugehen. Auf ihn wartetet niemand. Sein Kopf schmerzte. Er hatte sich so oft den Tod seines Vaters vorgestellt, dass ihn die Nachricht nicht besonders überraschte. Auch die Möglichkeit, dass sein Vater sich das Leben nehmen könnte, hatte er mehrfach durchgespielt. Sie hatten sich sogar darüber unterhalten.
    „Es kann sein, dass ich nicht bis ganz zum Ende warte.“
    „Kann ich verstehen.“
    „Gut zu wissen.“
    „Sagst du mir vorher Bescheid?“
    „Das ist eher unwahrscheinlich.“ Sein Vater hatte den Kopf schief gelegt und zu lächeln versucht. „Aber ich werde mich anständig verabschieden.“
    Warum hatte er es nicht getan? Weil ihn die Umstände aus der Bahn geworfen hatten? So war sein Vater nicht gewesen. Er hätte ihn nicht einfach vergessen – oder doch?
    Ben Mangold zog sein T-Shirt über den Kopf, seine Jeans aus und ließ beides achtlos in den Sand fallen. Langsam lief er auf das Wasser zu und ging Schritt für Schritt hinein, bis seine Füße den Kontakt mit dem schlammigen Boden verloren. Er tauchte kopfüber in den See ein, betrachtete während einiger Schwimmzüge das milchige undurchdringliche Grünbraun und tauchte ein paar Meter weiter wieder auf. Dann setzte er an, mit kräftigen Armschlägen bis zur anderen Seite zu kraulen. Der Schlachtensee war angeblich der tiefste See der ganzen Stadt, Angler wollten riesige Welse aus ihm herausgeholt haben. Jedes Mal, wenn Ben etwa in der Mitte angekommen war, stellte er sich vor, wie unter ihm handtellergroße ungläubige Fischaugen seine zappelnden Füße betrachteten. Das ließ ihn schneller werden.
    Heute schwamm er keine Bestzeit. Niemand war ihm auf den Fersen, nicht einmal ein kleiner Hai. Er wurde, im Gegenteil, bald müde und es kostete ihn Anstrengung, umzudrehen und sich bis zur Uferböschung durchzuschlagen, an der seine Kleider lagen. Erschöpft rollte er sich auf den Sand, streckte Arme und Beine aus und schaute in den Abendhimmel. Die Sonne versteckte sich bereits hinter den Baumwipfeln, die Stimmen der am Weg Vorbeilaufenden wurden weniger und seine Augen schwer.
    „Warum kannst du keine Ruhe geben?“, fragte ihn seine Mutter.
    Sie war über und über mit Federn bedeckt, ihr Gesicht war kaum zu sehen. Doch es schien sie nicht zu stören, Erika Mangold strahlte unendliche Ruhe aus.
    „Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?“ Ben versuchte sich durch das Dickicht zu kämpfen, das ihn von seiner Mutter trennte.
    „Es gibt nicht nur eine Wahrheit, es gibt viele Wahrheiten. Jede einzelne hat ihre Zeit. Der Moment für eine neue ist noch nicht reif.“
    „Aber ich weiß doch schon alles.“ Seine Stimme klang blechern, als spräche er von weit her, verfolgte ihn sein eigenes Echo.
    „Nichts weißt du. Du glaubst nur dem Duft der Rosen, die Dornen willst du nicht fühlen.“
    In diesem Augenblick begannen die Pflanzen sich um ihn herum zu bewegen, wuchsen ihm über den Kopf, zwischen den Beinen empor, legten sich wie Arme um seinen Körper, rankten sich ihm um den Hals. Je enger sie ihn umschlangen, umso deutlicher stach es ihm in die Haut, bis er begriff, dass sich ihre Spitzen und die

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