Töten Ist Ein Kinderspiel
letzte Mal. Und doch verließ ich mein Dorf mit einem Ausatmen. Als Mörderin und Verlassene.
Es war nicht schwer, das Haus zu verkaufen. Ideal zur Errichtung eines Dreifamilienhauses mit Gartenparzellen und Garagen stand es auf begehrtem Bauland und wartete auf die Erfüllung eines Lebenstraums mit Bausparvertrag. Mein Herz machte Sprünge bei der Vorstellung, wie eine riesige Abrissbirne die steinernen Mauern einreißen würde: Eine kleine Weile könnten sie widerstehen und unter der Erschütterung zittern, dass die alten Bilder im oberen Stockwerk von den Wänden und aus ihren dunklen Holzrahmen fielen. Die dunklen, schweren Stillleben, die ich ignoriert und wie alles oberhalb der Treppe unberührt gelassen hatte. Die knarrenden Betten mit den gedrechselten Stumpen an den Ecken, die mit Stroh gefüllten Matratzen, die massiven Eichenschränke ohne Spiegel, weil man sich vor dem eigenen Antlitz schämen musste. Doch die Backsteine würden nachgeben, darauf baute ich, das eiserne Rund schließlich ein Loch reißen, sich festhaken und den Mörtel meines Urgroßvaters zum Bröckeln bringen. Und mit ihm das ganze Haus voller schlechter Erinnerung, Gewalt und vergiftetem Atem.
Das Haus hatte mir immer Unglück gebracht, und ich hatte es vergessen gehabt. Geglaubt, nach all den Jahren könnte mir kein Dach über dem Kopf mehr etwas anhaben, wäre ich immun gegen die Geister, die sich zuerst in der Behausung der Menschen, ihren Kleidern und dann erst in ihren Köpfen festsetzen. War sicher gewesen, durchlässig zu sein für die Angriffe aus dem fliehenden Reich der Angst. Hatte zugelassen, dass das Schöne Einzug hält und zusehen müssen, wie es zerbricht. Deshalb wollte ich das Haus zerstört wissen, dem Erdboden gleich gemacht, in Sand und Schutt zerfallen. Wiederaufbau ausgeschlossen.
„Sie bekommen nichts mehr für die Möbel“, hatte die Bank gesagt.
„Soll die Heilsarmee sie holen. Oder die Ratten. Ich verkaufe es nur so oder gar nicht.“
„Aber es wird schwer, einen Käufer zu finden, der es möbliert kauft.“
Sie dachten tatsächlich, ich wüsste nicht, was das Grundstück wert war. Alles, was man in mir sah, war eine Frührentnerin, eine arme Irre, die im Krieg durchgedreht war. Daran musste meine Mutter Schuld sein oder vielleicht auch die Gemeindeangestellte, bei der ich mich hatte anmelden müssen. Sie hatte mich mitleidig angesehen, nachdem sie in einer großen Akte geblättert hatte, und ich frage mich noch heute, was dort über mich geschrieben steht. Dass ich verrückt bin? Dass ich 1945 durch die kaputten Straßen von Berlin gerannt bin und mich versteckt habe, weil ich nicht glauben konnte, dass die besiegten deutschen Frauen auch nur einen Deut besser wären als ihre gefallenen oder verhafteten Männer? Keine Steine mit ihnen aufgehäuft habe, keinen Kriegsschutt fortgeräumt vom Morgengrauen bis in die Abendstunden, weil es keinen Ort mehr für mich gab, den ich hätte wiederhaben wollen?
“What did you do during the war?”
“Ravensbrück.”
“Fucking hell.”
Zum ersten Mal war ich froh, dass man uns bei der Befreiung registriert hatte.
Über Nacht war ich wieder jemand: The german nurse who survived the concentration camp! , und trug Grün.
Wunden wurden wieder zu einem lösbaren Problem, Krankheiten zu einem behebbaren Übel, Gesichter, Hände, Arme und Beine wieder zu Menschen. Sie sprachen eine fremde Sprache, die mich umhüllte wie ein seidener Mantel mit großen Taschen. Manchmal steckte ich ein Wort auf der linken Seite ein und suchte nach seinem Pendant auf der rechten. Man hörte viel Englisch, nicht nur in dem Krankenhaus, in dem ich für die Amerikaner arbeitete. Auch auf den Straßen, in denen ein rauer Wind herrschte, weil der Ostwind ungehindert durch die Ruinen zog. Die Liebe wilderte in der aufgefächerten Stadt, die Überlebenden erinnerten sich ihrer Körper, und bevor es Brot zu kaufen gab, waren die Astern da.
Donnerstagmittag
„Man sieht es jeden Abend im Fernsehen und liest es in der Zeitung. Es gehört zum Alltag dazu. Aber wenn es einen selbst betrifft, dann denkt man, man wäre im falschen Film.“ Mathilde Taylor hatte eine Kanne Eistee auf die Terrasse gebracht und setzte sich zu Inge Nowak und Wolfram Berger an den Tisch. Es war ihr dritter Besuch in dem Einfamilienhaus innerhalb von drei Tagen, aber es fühlte sich an, als wäre seit dem letzten unendlich viel Zeit vergangen. Obwohl die beiden Toten noch nicht begraben waren, war jegliche
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