Töten ist ganz einfach: Thriller (German Edition)
landete in schmutzigen Wasserpfützen, erreichte keuchend und verschwitzt nach knapp zwei Kilometern schließlich das Kraftwerk. Daneben, auf einem Parkplatz, leuchtete eine Imbissbude verheißungsvoll in der Dämmerung. Ein Bier für unterwegs kann nicht schaden, dachte er und fiel sofort vom Laufen in einen leichten Trab, dann in ein gemütliches Gehen.
Nach dem zweiten Bier hatte er die Selbstvorwürfe wegen des abgebrochenen Lauftrainings bereits hinuntergespült und betrachtete entspannt die Kreuzfahrtschiffe auf der Donau, mit denen die Touristen vom Schwarzen Meer bis nach Budapest und wieder zurück gebracht wurden.
Das Laufen hatte in letzter Zeit für ihn sehr an Reiz verloren. Das lag zum einen an seinem übertriebenen Bierkonsum, zum anderen daran, dass ihm Stefan Szabo als ständiger Laufpartner fehlte. Szabos Energie hatte ihn immer angespornt, sich völlig zu verausgaben und bis ans Limit zu gehen, obwohl er gegen ihn kaum eine Chance hatte. Aber jetzt war Szabo oft mit seinen internationalen Projekten beschäftigt und Tony Braun blieb lieber beim Bier.
Nachdem er auf dem Rückmarsch zu seinem Wagen noch zwei Dosen gekippt hatte, fuhr er nach Hause, wo ihn verdreckte Zimmer erwarteten, sonst nichts. Er wählte die Nummer von Szabo, von dem er schon seit Tagen nichts mehr gehört hatte. Doch dessen Telefon war ausgeschaltet.
Verdammt, er brauchte jemanden zum Reden, jemanden, der ihn abends erwartete, mit dem er lachen konnte oder wenigstens streiten. Er scrollte durch die Anrufliste, verharrte bei Anna Langes Nummer, zögerte, dann riss er sich zusammen, wählte, aber da kam sofort die Mailbox.
„Ich bin’s, Tony Braun“, stotterte er, „es geht nur um das Protokoll. Du weißt schon, wegen Yurika Mekas. Ich melde mich wieder.“
Schnell trennte er die Verbindung, schlug sich mit der flachen Hand auf seine Stirn. Du Arschloch! Du verdammtes Arschloch! Nicht einmal das kannst du!, schimpfte er, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und kickte seine derben Stiefel achtlos in eine Ecke. Wieder ein Abend mit Bier, CDs und Erinnerungen, wieder ein Abend zum Totschlagen. Totschlagen! Sehr witzig! Er lachte lustlos und öffnete die nächste Bierdose.
*
Anna Lange starrte aus dem Fenster des Nike-Hotels hinüber auf die schnell wechselnden Lichter des gläsernen Ars Electronica Centers, einer europaweit einzigartigen Medienfabrik für Elektronik und Internet. Die Fassade war des Nachts ein ständig wechselndes, flackerndes Lichtermeer, das Fortschritt und Zukunft signalisieren sollte. Sie hörte, wie Marc aus dem Bett aufstand und im Badezimmer verschwand. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Jetzt war es wieder so weit. Marc würde nach Hause zu seiner Familie zurückkehren und was blieb für sie übrig in dieser Nacht?
Warum wollte sie ausgerechnet eine Zukunft mit Marc, der sie nur als nette Abwechslung sah und nicht daran dachte, das zu ändern? Marc, der ihr immer vorschwärmte, wie hübsch doch Larissa, ihre Schwester sei, besonders natürlich durch seine neue Nase, die sie in eine klassische Schönheit verwandelt hatte. Ständig diese Vergleiche, es war einfach zum Kotzen! Larissa mit den feinen Gesichtszügen, der makellosen Haut, dem seidigen Haar, der Rest schwebte ungesagt im Raum, aber sie vervollständigte ihn immer wieder aufs Neue: Natürlich bist du attraktiv, Anna, aber … immer dieses Aber! Aber die roten Elektrohaare, der breite Mund, die Sommersprossen, die Größe, die vielen Gedanken, das ständige Infragestellen von Tatsachen, das alles sind Minuspunkte, deshalb haben wir auch keine Zukunft!
Die Farben des Ars Electronica Centers verschwammen und heftig kniff sie ihre Augen zusammen. Sie wollte um jeden Preis ihre Tränen zurückhalten, doch das Würgen in ihrem Hals wurde immer stärker, kam von weiter unten, kam direkt aus ihrem Herzen, das klopfte und pochte und einfach nicht mehr aufhören wollte, das Würgen nach oben zu schicken. Im Hintergrund war das Rauschen einer Dusche zu hören und ein leiser Pfeifton, der immer lauter wurde. Einer dieser Ohrwurmradiohits wurde gepfiffen, fröhlich, zwitschernd, gut gelaunt! Schlagartig versiegten ihre Tränen. Wut stieg in ihr auf. Marc fühlte sich großartig und sie? Ja, wie fühlte sie sich eigentlich?
„Hallo, mein Schatz, das war ja wieder absolute Spitze heute! Sehen wir uns übermorgen wieder? Morgen muss ich mit meiner Frau zu einem total langweiligen Empfang.“
Marc, ein erfolgreicher Schönheitschirurg,
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