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verschuldet. Möglicherweise bei Chaim Otto Fünfgeld und seinen Hintermännern.
»Ebenfalls wahr«, pflichtete Galiani bei. »Dieser Regent ist ein Fall von verschwendeter Geisteskraft, während der Sonnenkönig ein Fall von materieller Verschwendungssucht war. Wir beide ahnen, bester Buffon, dass des Königs Neugier bezüglich der von Ihnen mitgebrachten Druckbögen groß sein wird. Aber dies ist kein hinreichender Grund, seinen Höflingen zu entfliehen und bei einer bürgerlichen Salonière den Abend zu verbringen. Auch nicht, wenn sie die Tochter eines verdienten Offiziers ist.«
Madame d’Epinay nickte vornehm.
»Mein lieber Galiani, tun Sie nicht feiner, als Sie sind! Bei der Auswahl seiner Konkubinen hat den König Bürgerlichkeit noch nie gestört. Ich sage nur Madame de Pompadour, ihre zahllosen Vorgängerinnen und ihre nicht minder zahlreichen Nachfolgerinnen! Warum sollte er also –«
»O doch!«, fiel ihm Galiani ins Wort. »Das Erste, was ich bei meiner Ankunft in Paris vernahm, war die öffentliche Rede darüber, dass sich der König standhaft weigere, die Sakramente zu empfangen, weil er sich in einem dauerhaft sündigen Zustand befände, den er nicht beenden könne.«
»Richtig, aber diese Sünde besteht grundsätzlich, nicht durch denspeziellen Hang zu Bürgerlichen«, widersprach Leclerc de Buffon. »Ich glaube nicht, dass es für Wollust mit niederen Ständen einen besonderen Abschlag beim Jüngsten Gericht gibt. Der König ist ein Mann der Lenden und des frommen Gemüts. Nach Lage unserer Bibelauslegungen passt das leider nicht zusammen. Darin liegt der Grund für seine traurige Zurückgezogenheit.«
»Vom Sonnen- zum Sinnenkönig, warum nicht?«, geistreichelte Galiani und legte seine Hand um die Taille der Epinay. Diese machte sich los und trat ans Fenster. Draußen hatte es zu schneien begonnen.
»Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass uns der König einen Vertrauten schickt, um sich über die Entwicklungen der Enzyklopädien unterrichten zu lassen«, sprach der Gastgeber leise. »Man hat mir diskret einen Monsieur Ludewig avisiert.«
»Monsieur Ludewig«, gluckste Leclerc de Buffon. »Das ist gut!«
»Sie kommen!«, rief Madame d’Epinay aufgeregt. »Mehrere Equipagen, darunter eine Berline! Alors, messieurs!«
Die Dienerschaft in der Rue Fromenteau hatte alle Hände voll zu tun, drei Dutzend hochrangiger Gäste mit Getränken und kleinen Speisen zu versorgen, dazwischen die Dochte der Kerzen nachzuschneiden und das Feuer in den Kaminen zu schüren. Ganz wie es Galiani vorausgesehen hatte, war nach Entfaltung der Druckbögen ein empörtes Lamento über die schrecklichen Diebstähle des schottischen Nachahmers ausgebrochen. Vor allem Voltaire – der fern der Pariser Salons im Genfer Vorland lebte – schien massenhaft seiner Worte beraubt, während Diderot kaum irgendwo eigene Zitate wiederfand und darob in Trübsinn verfiel. Dass Georges-Louis Marie Leclerc de Buffon in gleich zwei Stichworten komplett abgeschrieben, aber nicht namentlich erwähnt worden war, trug dieser mit Fassung. »Wissen Sie, Sire«, sagte er zum etwa gleichaltrigen Manne, der neben ihm stand, »meine Histoire naturelle ist auf fünfzig Bände angelegt, was jucken mich da zwei Stichworte? Das wäre ja kleinlich.«
Der Angesprochene schrak zusammen. »Gewiss, gewiss!«, flüsterte er hastig und wandte sich zum Gehen.
»Monsieur Ludewig, wenn ich nicht irre?«, fragte Leclerc de Buffon mit einem Augenzwinkern. »Glauben Sie mir, Sire, ich verspüre einen fast unbezwingbaren Drang, mich vor Ihnen niederzuwerfen, gebe dem aber wegen der Beschwernisse des Alters nicht nach. Wo lassen Sie Ihre Zähne fertigen?«
Da der Mann nach höfischer Sitte stark gepudert war, ließ sich nicht erkennen, ob er angesichts dieser schamlosen Indiskretion erbleichte. Seine guten Zähne waren allerdings augenfällig. Sie passten kaum zum Erscheinungsbild eines zwar gesunden, doch erkennbar auf die sechzig zugehenden Mannes. Hätte er im hellen Kerzenschein gestanden und sich nicht in eine dunkle Ecke gedrückt, wäre es jedermann aufgefallen, dass er dort, wo andere schon ab vierzig Zahnlücken aufwiesen, makelloses Elfenbein trug – passgenau in die Lücken hineingeschliffen und mit sehr feinem Silberdraht befestigt. Solchen Luxus konnte sich kaum einer leisten. Wie andere Normalsterbliche musste Leclerc de Buffon mit Schlachtfeldzähnen vorliebnehmen. Davon gab es nach dem Siebenjährigen Krieg allerdings eine
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