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sein. Das Mädchen war nicht mal den Mindestanforderungen an ordentliches Hitchhiking nachgekommen, hatte sich bockig verhalten, dumme Bemerkungen gemacht und sich jeder Bewunderung enthalten. Dabei war Bewunderung die einzige Währung, die bei Mitfahrgelegenheiten zählte: Das Auto, die Fahrkünste, der Musikgeschmack des Fahrers – all dies konnte, sollte, musste bewundert sein. Sonst fuhr man besser gleich alleine.
»Wird ja wohl ’ne Jugendherberge geben«, murmelte Anna-Katharina.
»Du kennst niemanden?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was willst du dann in Hamburg?«
»Ich wollte weg, nicht irgendwohin.«
Da hab ich mir ja was Schönes angelacht, dachte Kingfish und kratzte sich am Kinn. »Wo würdest du denn hinwollen, wenn du könntest?«
»München«, sagte Anna-Katharina einsilbig.
»München? Da sind wir wohl ziemlich in die falsche Richtung gefahren.«
»In München hab ich Freunde. Und Verwandte«, fügte sie hinzu.
»Hast du eine Kreditkarte?«
Anna-Katharina sah ihn mit großen Augen an. Dann tippte sie sich an die Stirn.
»Jetzt schon!«, sagte Kingfish. »Klapp mal die Sonnenblende runter. Da stecken ein paar unbenutzte.«
Anna-Katharina folgte seinen Worten. In einer Lasche hinter der Sonnenblende befanden sich ein paar weiße Plastikkärtchen. Mit schwarzem Filzstift stand ein fünfzehnstelliger, in drei Blöcke unterteilter Zahlencode darauf geschrieben.
»Ich bin zwar vom Dorf«, erklärte sie, »aber das sind keine Kreditkarten! Kreditkarten haben einen Bankaufdruck.«
»Nicht wenn sie jungfräulich sind. White Plastics. Kann man natürlich auch mit einem Spezialdrucker für ein paar Hundert Euro bedrucken. Aber wozu der Aufwand? Geheimzahl ist dein Geburtsdatum. Tag und Monat, je zweistellig.«
»Das kennst du doch gar nicht!«
Kingfish grinste: »Ist egal. Die brauchen bloß vier Zahlen, um zu funktionieren, viermal einen Tastendruck auf dem Ziffernblock, egal welchen. Wenn du dir 0000 besser merken kannst, dann nimm das. Wie gesagt, die sind jungfräulich.«
»Und damit kann man Geld abheben?«
Kingfish nickte.
»Woher hat denn so eine Jungfrau Geld?«
»Mitgift«, sagte Kingfish. Jetzt gefiel ihm das Mädchen. Es hatte Witz. Wenn es nur nicht technologisch so hoffnungslos rückständig gewesen wäre.
»So viel ich will?«
Kingfish schüttelte den Kopf: »Wo denkst du hin! Die Karten haben ein Limit, 2500 Euro am Tag … das Limit eines anständigen Bürgers, damit es weniger auffällt.«
Anna-Katharina Loibl dachte nach. Sie war einem brutalen Anschlag entgangen, hatte einem Kriminellen eine absonderliche Bitte erfüllt und sich abends von ihren Eltern sagen lassen müssen, mit ihr sei ja nun gar nichts mehr los, ob man sie in der Psychiatrie abgeben müsse? Dafür hatte sie sich eine Entschädigung verdient.
»Was muss ich tun?«
»Mädchen«, antwortete der Programmierer väterlich, »ich gehöre einem Laden an, dessen Motto lautet: Don’t be evil! Einmal am Tag muss ich was Gutes tun, okay? Du ziehst am Bahnhof ein bisschen Bargeld für unterwegs, dann setzt du dich in den Zug nach München. Und du versprichst, keine Dummheiten zu machen.«
»Versprochen«, nickte Anna-Katharina.
»Dann fahren wir jetzt nach Altona. Um die Zeit steht schon der CityNightliner im Gleis. Bin ich auch mal mit nach München gefahren. Ist elend komfortabel.«
Auf den restlichen Kilometern herrschte eine gelöste Stimmung im Humvee. Anna-Katharina interessierte sich plötzlich wirklich für die weißen Kreditkarten, und obwohl sie höchstens die Hälfte von Kingfishs Ausführungen verstand, begriff sie doch, dass Skimming zu seinem Aquariumsspiel gehörte. Kingfish schilderte, wie er bei jeder Hotelübernachtung heimlich die Schlüsselkartenhalterungen auf WLAN – Empfang umrüstete – Anna-Katharina wusste weder, was Schlüsselkarten, noch was WLAN – Empfang waren, aber egal … und damit in die Lage versetzt wurde, immer dann Kontodaten auszuspähen, wenn ein Hotelgast irrtümlich seine Kreditkarte oder irgendeinen anderen Datenträger in diese Halterung steckte. Das taten viele Leute. Jene, die ihre Zimmerkarten verlegten, dann aber bei einbrechender Dunkelheit Strom im Zimmer brauchten, und jene, die ihre Kreditkarten, Hausausweise und sonstige ID – Cards lose in der Hosentasche mit sich herumtrugen und rascher zutage förderten als die eigentliche Codecard. Jeden Monat gingen etliche Fänge ins Netz und wurden im Aquariumsspiel verlost.
»Der Computer kann natürlich
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