Toggle
hatte. »Der Abbé Galiani wird nicht bei Hof reüssieren, er denkt zu hoch und spricht zu niedrig!« Trotz ihres gesetzten Alters von beinahe vierzig Jahren kicherte sie wie ein junges Mädchen: »Nicht bei Hof reüssieren! Wenn die Necker erfährt, wer heute bei uns –«
»Schschsch!«, machte Ferdinando Galiani und legte ihr die Hand auf den Mund, wozu er sich recken musste. »Wir wissen von nichts!« Dann küsste er das prachtvolle Dekolleté seiner Geliebten, wozu er auf normalem Fuße stehen konnte. »Wo sind die beiden holden Töchter?«
»Mit Pauline bei Madame Rouvert. Ganz wie befohlen.«
Das vernahm Galiani mit Wohlgefallen. Er wurde nicht gerne mit seinem Nachwuchs konfrontiert, wiewohl er für dessen Unterhalt aufkam.
»Das Einzige, was wir zuverlässig wissen«, sprach er, »ist die Tatsache, dass man Leclerc de Buffon bei der Weihnachtsmesse in St. Roch gesehen hat. Er muss also wohlbehalten aus Edinburgh zurückgekehrt sein. Ob er mitgebracht hat, wonach sich unsere Gäste verzehren – nun, das wissen wir nicht! Wir können es nur hoffen, damit dieser 27. Dezember nicht das Ende deiner Laufbahn als Salonière markiert.«
»Gott bewahre!«, entfuhr es Madame d’Epinay. »Auf Monsieur de Buffon war stets Verlass!«
Der Naturforscher und Inhaber des Akademiefauteuils Nummer 1 hatte den englischen Übersetzer seiner Histoire naturelle in Schottland besucht, es dabei aber weniger auf persönliche Einflussnahme als auf einen ganz bestimmten Gegenstand abgesehen. Denn jenerWilliam Smellie war neben seiner Übersetzertätigkeit auch Autor und Drucker der Encyclopædia Britannica , des britischen Konkurrenzunternehmens zur berühmten Encyclopédie von Diderot, Voltaire und den anderen französischen Aufklärern. Am 6. Dezember hatte Smellie in Edinburgh die erste Lieferung herausgebracht, mehrere Bögen eng bedruckten Papiers, deren Ankunft in Paris kaum drei Wochen später eine Sensation darstellen würde. Eine Sensation im Hause der Madame d’Epinay, eingefädelt von Ferdinando Galiani, dem wichtigsten, allerdings nur zweiten Mann in der neapolitanischen Gesandtschaft. Für die erste Position mangelte es ihm leider am passenden familiären Hintergrund. Die Zeiten waren nicht so, dass ein verdienter Mann erhalten hätte, was ihm zugekommen wäre.
Vor dem Hause hörte man das Hufgeklapper von Kutschpferden, und Madame d’Epinay eilte zu den Dienstboten, um ihnen ein letztes Mal einzuschärfen, wie précieux sie sich zu verhalten hätten, um vor den Augen des … sie biss sich auf die Lippen. Keiner wusste, ob wirklich ein gekröntes Haupt unter den Gästen sein würde. Im Torbogen stand dagegen Georges-Louis Marie Leclerc de Buffon, der für das Gelingen der Abendgesellschaft ja auch nicht ganz unwichtig war.
»Geben Sie zu, mein Lieber, Sie haben unterwegs einen Blick in die Bögen geworfen«, stichelte Galiani, als ihm ein Lakai des Naturforschers ein wohlverschnürtes Bündel überreichte.
Der Angesprochene hob beschwörend die Hände: »Wir hatten ausgemacht, dass niemand einen Vorsprung bekommen solle, also bezwang ich meine Neugier. Wie schwer das war, können Sie sich vorstellen! Bin ich der erste Ankömmling?«
Galiani nickte.
»Dann verzeihen Sie meine aufdringliche teutonische Pünktlichkeit! Ich muss durch den Aufenthalt bei den Schottenröcken in meinem Zeitgefühl durcheinandergeraten sein.«
»Keine Ursache«, meinte Galiani. »Das Wichtigste ist, dass Sie da sind. Ohne Sie wäre alles nichts.«
Leclerc de Buffon drohte spielerisch mit dem Finger: »Sie sind einHeuchler, Galiani, wie alle Ihre Landsleute! Ohne das da«, er deutete auf das Bündel, »wäre alles nichts!«
Galiani maß den schottischen Druckbögen wenig Bedeutung bei. Dass tout Paris danach gierte, verriet nur etwas über die Eitelkeiten von Diderot und Konsorten, die empört oder geschmeichelt tun würden, wenn sie erfuhren, dass sich der Edinburgher Drucker kräftig bei ihnen bedient hatte. Doch wie sollte er auch nicht? Das Wissen der Welt ließ sich nicht zweimal erfinden. Warum musste man mühselig andere Worte für etwas suchen, das schon einmal aufgeschrieben stand? Gewiss, da und dort würde eine Bewertung jenes Mr. Smellie anders ausfallen als bei Diderot, sein Blick eine abweichende Richtung genommen haben – aber im Grunde konnte ein zweiter Aufguss nichts Neues erbringen.
Er bot allerdings einen vorzüglichen Anlass, eine Traube Menschen zu versammeln, aus der sich jene Früchte pflücken
Weitere Kostenlose Bücher