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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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das Parlement in Paris ja mächtiger als das House of Commons in London«, wunderte sich Fünfgeld und schüttelte fassungslos den Kopf.
    Galiani widersprach: »Nein, denn der König kann die Mitglieder der Grande Chambre vorübergehend ihres Amtes entheben und dann als oberster Gerichtsherr selbst das Gesetz einregistrieren. Danach setzt er die Kammer wieder in alte Würden, das Gesetz bleibt gültig und unanfechtbar.« Er machte eine Pause. »Was nicht heißt, dass es die Betroffenen auch befolgen.«
    »Welche Posse!«, befand Fünfgeld. »Warum entlässt der König die aufsässigen Mitglieder der Kammer nicht gleich für immer?«
    Der Gesandte des Königs hob den Kopf. Auf seiner Miene zeichnete sich gespannte Aufmerksamkeit ab.
    »Jetzt kommen wir zum kaufmännischen Teil der Angelegenheit«, sagte Galiani. »Wie wir wissen, lebt der französische Staat zum größeren Teil vom Verkauf seiner Ämter und nur zum kleineren von Steuern und Zöllen. Wer jemandem aber das Amt wegnimmt, das er diesem rechtmäßig verkauft hat, schuldet ihm die Rückerstattung des Kaufpreises – wenigstens anteilig nach Zeitwert. Der französische Staat war aber niemals solvent genug, alle böswilligen Amtsinhaber aus ihren Ämtern herauszukaufen.«
    Monsieur Ludewig stieß ein kleines, erbittertes Lachen aus.
    »Ich fasse zusammen: Der Duc d’Orléans machte es also wie alle weitsichtigen Strategen. Er bezahlte seinen Machtzuwachs nicht mitdem eigenen Geld, sondern mit dem seines Großneffen. Denn mit der Rückkehr des Remonstranzrechtes war klar, dass sich jede Erhöhung des Steuerfußes, jede Erweiterung der Steuerpflicht auf andere als die bisher Betroffenen in einem zähen Machtkampf erschöpfen würde.«
    »Schlaues Parlement! « Chaim Otto Fünfgeld pfiff anerkennend durch die Zähne. »Denn wenn ich richtig unterrichtet bin, zahlt weder der Hochadel noch der Amtsadel in Frankreich Steuern.«
    »Seit 5.   Juli 1756 führt jedermann zweimal den Zwanzigsten ab!«, erklang unerwartet scharf die Stimme des königlichen Gesandten.
    »Pardon: Soll jedermann zehn Prozent seiner Einkünfte abführen«, korrigierte Leclerc de Buffon. »Ob er es tatsächlich tut, steht auf einem anderen Blatt. Und jedermann heißt: Alle außer dem Klerus. Nicht wahr, Abbé Galiani?«
    Der Angesprochene überhörte es huldvoll. »Oh, meine hochwohlgeborene Existenz ist kostspielig«, karikierte er die Betroffenen. »Wo soll ich da Geld für die Aufwendungen des Regenten herbekommen? Nein, sie zu finanzieren ist Aufgabe der Bürger, Pächter und Bauern!«
    Ein vernehmliches Murren ging durch den Raum. Galiani hatte tunlichst darauf geachtet, nur entlassene Offiziere, Männer des Geistes und Angehörige der Kaufmannschaft ins Chambre séparée zu bitten.
    »Das alles ist ein Menschenalter her, aber es verantwortet bis heute, dass Ihr allergnädigster König einen Staat regiert, der unaufhörlich Kosten produziert, ohne zugleich seine Einnahmen steigern zu können. Es ist die Folge des eigensüchtigen Verhaltens eines Einzelnen. Für wenige Jahre der eigenen Machtfülle ließ er seinen Großneffen ein Leben lang bezahlen, mit ihm ein ganzes Volk.«
    »Das ist wahr«, sagte Monsieur Ludewig, nun wieder fast unhörbar. »Aber so wahr es ist, es kann nicht ungeschehen gemacht werden.«
    »Das wiederum«, widersprach Ferdinando Galiani, »ist unwahr. Zwar kann man die Vergangenheit nicht ändern. Aber man kann in der Gegenwart etwas tun, das die Folgen der Vergangenheit mildert.«
    Madame d’Epinay riss die Tür auf und rief ein lautes »Nun aberSchluss mit allem Trübsinn!«. Ihr auf dem Fuße folgten Musiker mit Bratschen und Klarinetten, und binnen Sekunden bot das Chambre séparée nicht den kleinsten Raum mehr für Gedanken. Monsier Ludewig kam am kleinwüchsigen Neapolitaner vorbei. Er öffnete den Mund – und schloss ihn wieder. Dann ging er ohne ein Wort hinaus.
    Man kann gar nicht streng genug über die Zaghaftigkeit urteilen, dachte Galiani. Von allen Sünden der Menschen ist Zaghaftigkeit die unbekannteste, doch jene mit den schlimmsten Folgen.
    »Nach dem Concerto geht es weiter!«, rief er in die Menge.
    Keiner hörte ihm mehr zu.

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   Hamburg
Freitag, 30.   Juli, 21   :   00
    Als Nikolaus Holzwanger gegen neun seinen Hausausweis unter den Türscanner der verwaisten Hamburger Toggle-Filiale hielt, rechnete er insgeheim damit, dass ihm die elektronische Schließanlage den Zutritt verwehrte. Doch das Gegenteil war der Fall.

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