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uns rühmen, in einem Monat mehr Sonnenstunden einzusammeln als Paris in einem ganzen Jahr.«
»Dafür werdet ihr auch von Dürreplagen heimgesucht«, grummelte Leclerc de Buffon.
»So ist es. Die Sonne der Zivilisation stiftet ungleich mehr Fruchtbarkeit als die Sonne am Himmel. Doch ist die Sonne am Himmel frank und frei, wohingegen die Sonne der Zivilisation etwas kostet. Je stärker man die Zivilisation durch Künste verfeinert – dazu gehört zweifelsohne auch die Kriegskunst –, desto teurer wird sie. Man muss also von Zeit zu Zeit Schulden tilgen. Das ist Ihrem erlauchten König leider kaum je geglückt. Ich frage Sie aber«, Galiani ließ seinen Blick über die Häupter schweifen, »ist das seine Schuld?«
Der Unbekannte mit den Elfenbeinzähnen hielt den Kopf gesenkt.
»Nein, das ist es nicht! Die Ursachen dafür liegen ein Menschenalter zurück, darum erlaube ich mir, sie zu rekapitulieren. Als der Sonnenkönig im Alter von 77 Jahren verstarb, hatte er seine Söhne und Enkel überlebt. Die Masern, Geißel der Menschheit, raubten Frankreich zweimal kurz hintereinander den Dauphin! So fiel die Krone seinem kindlichen Urenkel zu, Ihrem verehrungswürdigen Ludwig XV . Nun könnte man sagen: Wo ist das Besondere? Auch der Sonnenkönig wurde mit fünf Jahren gekrönt und lenkte dann sieben goldene Jahrzehnte lang die Geschicke Frankreichs. Die Bourbonen sind eben, wenn sie am Leben bleiben, ein von Gott begünstigtes Geschlecht.«
Das zustimmende Gemurmel im Raum wurde von musikalischen Fetzen aus dem Nachbarsalon überlagert. Offensichtlich hatte mannebenan begonnen, die strapaziöse enzyklopädische Materie durch eine leichte musikalische Unterhaltung zu ersetzen.
»Es gibt aber doch eine Besonderheit. Als Ihr erlauchter König im Alter von fünf auf den Thron kam, wurde ihm der Duc d’Orléans zum Vormund bestimmt, dem allerdings einige einschränkende Passagen im Testament des Sonnenkönigs missfielen. Philipp Duc d’Orléans, der Großonkel Ihres erlauchten Königs, strebte die unbeschränkte Regierungsmacht in seiner Hand an. Um sie zu erringen, suchte er das Bündnis mit dem Pariser Parlement .«
»Die Franzosen haben ein Parlament?«, wunderte sich der weltläufige Chaim Otto Fünfgeld. »Das war mir unbekannt. Ich dachte, nur die Briten wären so töricht.«
»Monsieur, von uns stammt sogar der Name!«, rief einer der Anwesenden aus, ein Rhetorikprofessor von der Sorbonne. »Er kommt von parler . Die Briten haben ihn nur gestohlen, weil ihre Sprache so schwach und kunstlos ist.«
»Als Diplomat sollte man die Institutionen seines Gastlandes aufmerksam studieren«, ging Galiani dazwischen. »Deswegen weiß ich: Das Pariser Parlement macht keine Gesetze. Es ist ein Gericht. Allerdings hat die Grande Chambre, die wichtigste der drei Kammern, in den 400 Jahren ihres Bestehens über Umwege doch Gesetze gemacht … vielmehr verhindert. Der Sonnenkönig stellte diese Nötigung durch den immer frecher werdenden Amtsadel ab.«
Im Schatten der Kronleuchter nickte, kaum merklich, der Gesandte des Königs.
»Leider überdauerte diese Verfügung seinen Tod nicht. Denn Philipp Duc d’Orléans focht das Testament des Sonnenkönigs an, wozu der oberste Gerichtshof seine Zustimmung geben musste. Die Grande Chambre willigte in die Annullierung ein, ließ sich dafür aber ihr altes, vom Sonnenkönig außer Kraft gesetztes Recht des Remonstrierens wieder einräumen. Ein Fluch für jeden nachfolgenden Regenten, übrigens auch für den Duc d’Orléans selbst.«
»Das ist mir zu advokatorisch«, sagte Chaim Otto Fünfgeld. »Remonstrieren, was heißt das?«
»Der König erlässt Gesetze«, erklärte Galiani, »aber sie werden erst gültig, wenn das Parlement sie in sein Register eingetragen hat.Zuvor prüft es, ob das neue Gesetz nicht mit einem alten in Widerspruch steht. So etwas kann nach Hunderten von Jahren schon einmal vorkommen! Entdeckt es einen Widerspruch, erhebt es eine sogenannte Remonstranz, und das Gesetz bleibt ungültig, bis es der König abgeändert oder die alte Verordnung aufgehoben hat.«
»Verstehe«, nickte der Händler. »Und irgendwann entdeckte das Parlement , dass man auch remonstrieren kann, wenn einem ein Gesetz bloß nicht gefällt, obwohl gar kein Widerspruch zu einem älteren vorliegt.«
Der Professor von der Sorbonne mischte sich erneut ein: »Leider hat Monsieur Galiani recht: Der Duc d’Orléans ließ sich dieses Pfand wieder aus der Hand reißen.«
»Aber dann ist
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