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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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erfahre ich das eher von alten Kameraden als von meiner zweiten Exfrau. Kinder verschwinden, wenn man älter wird. Scheidungskinder sowieso, und Patenkinder sind wie Zeitschriftenabonnements: Man zahlt einmal im Jahr für sie und kommt dann nicht dazu, sich ihnen zu widmen.«
    Die Worte erzielten eine andere Wirkung als beabsichtigt: Statt Holzwanger anzuspornen, demotivierten sie ihn. Es war falsch, den neuen beruflichen Abschnitt zulasten der Familie zu beginnen. Es war falsch, seine Kinder nicht selber ins Bett zu bringen, sondern das Pia zu überlassen.
    »Die Mails!«, mahnte der Amerikaner, als könne er über 9000 Kilometer hinweg Gedanken lesen. Seine Stimme klang pessimistisch: »Ich glaube allerdings nicht, dass du was findest. Die Unstimmigkeiten rühren woanders her.« Im Hintergrund klingelte ein zweites Telefon. Er fluchte. »Nic, das ist Grin oder Cage. Ich muss aufhören.«
    Holzwanger nickte und legte auf.
    Sollte er sich Weinbergers Anweisung widersetzen und Melissas Totenruhe akzeptieren? Oder sollte er Weinbergers Order ausführen und die Totenruhe stören? Er entschied sich, einmal kurz seinen Blick über Melissas Mailverzeichnis schweifen zu lassen, Mustererkennung, mehr nicht!
    Er griff zur Maus.
    Doch hinter den Fischen lag nichts mehr.
    Error 404 – Life not found.

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    81
   INTERMEZZO Paris
Dienstag, 27.   Dezember 1768
    Zusätzlich zu den Dienern und Musikern hatte Madame d’Epinay eine Handvoll Gaukler engagiert. Sie balancierten auf der Grenze zwischen Anstand und Anzüglichkeit, indem sie den Damen brennende Kerzenstummel in die Dekolletés zauberten, um sie dort von den Männer ausblasen zu lassen. Das Gekreische war scandaleuse , Ohnmachten kündigten sich an. Unter normalen Umständen hätte sich Ferdinando Galiani an diesem lüsternen Treiben beteiligt, doch beobachtete er mit Sorge, wie sich Monsieur Ludewigs Miene verzerrte. So trat er zu ihm ins Halbdunkel, in das sich der Gesandte erneut geflüchtet hatte. Er musste ihn beschwichtigen.
    »Sire«, flüsterte Galiani, »ich habe in jungen Jahren ein System entwickelt, das Frankreich, wie mir vor wenigen Tagen klar wurde, heute retten kann.«
    »Sie gelten als scharfsinnig«, überwand der Unbekannte seine Zurückhaltung. Er sprach beiseite. »Der König hat Ihre Schriften gelesen. Er war von Della Moneta beeindruckt und wollte Ihre Ratschläge zur Getreidetrocknung befolgen.«
    »Wollte?« Galiani runzelte die Stirn.
    »Er konnte sich nicht durchsetzen.«
    »Er kann sich nie durchsetzen! Er ist ein Schwächling!«
    »Er … er wägt so viele Argumente ab, dass er anschließend nicht mehr weiß, welches das einzig richtige ist. Das macht ihn schwach, aber es macht ihn auch demütig. Und Demut ist die Stärke der Frommen.«
    Galiani spürte, wie der Fisch an seiner Angel zuckte. »Es gibt Stärke, die auf roher Kraft beruht«, nickte er. »Das ist die gewöhnliche Stärke unserer Welt, und diese lässt der allergnädigste König missen. Doch Sire – meiner Ansicht nach gehört sie der Vergangenheit an! Gewiss, unsere Vorfahren regierten damit. Zur Not hieb ein Pedro der Grausame seinen Gegnern selbst den Kopf ab, denn er wusste, dass das Schwert ihm Ruhm verschaffte, nicht kluge Regeln, die er aufstellen würde. Aber heute, Sire – schauen Sie sich um! In den Hinterhöfen von Paris arbeiten Manufakturen mit mechanischen Kräften. Mit geliehener Stärke! Sie sind darin erfolgreicher als jene, die sich auf ihre eigene Stärke verlassen. Und ein Offizier der königlichen Artillerie, so munkelt man, wird binnen Kurzem einen Dampfwagen präsentieren, der jedes Ochsengespann an Kraft übertrifft.«
    »Monsieur Cugnot«, murmelte der Unbekannte. »Das ist bekannt. Er handelt im Auftrag des Kriegsministeriums.«
    »In solchen Zeiten wandelt sich die Auffassung von Stärke«, fuhr Galiani fort. »Denn die Kraft des Dampfwagens kommt nicht mehr von der Faust. Sie resultiert aus der Stärke des Kopfes, der die Pläne dazu ersann. Was kann also der stärkste Mann gegen die Kraft der Maschinen erreichen? Nichts, Sire! Bald wird das Volk jenen Mann,der drohend die Fäuste erhebt, nur noch auslachen, während es jenen bewundert, der mit der Kraft des klugen Geistes herrscht.«
    »Dem würde der König beipflichten«, raunte der Unbekannte. »Aber wann bricht diese Zeit an, in der sich Klugheit mehr Respekt verschafft als das Schwert?«
    Galiani wog nachdenklich seinen Kopf. »Nun, ist sie nicht schon längst angebrochen? Nehmen wir

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