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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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in eben jener Politeia verschlüsselte Zahlenverhältnisse stecken, die die universelle Kraft der Mathematik als Schöpfungsgrund beweisen. Damit wird die Politeia zur Bibel, die Mathematik zur Theologie, und ich bin der erste Evangelist einer neuen Zeit.«
    So viel Blasphemie hatte der Bischof noch nie aus dem Mund eines Sterbenden vernommen.
    »Erteilen Sie mir im Namen des Zahlengottes die Absolution«, ächzte Galiani. »Mehr kann ich von der Amtskirche nicht erwarten.«
    Mehr aus Mitleid denn aus Pflichtgefühl schlug der Bischof ein Kreuz über dem Schwerkranken. Dann raffte er seine Utensilien zusammen und verließ den Ort in unheiliger Hast.
    Zurück blieb nur seine Bibel.
    Ferdinando Galiani überfiel ein schlechtes Gewissen.
    Er hatte es überzogen.
    Auf allen Gebieten im Leben überzogen!
    Sein Körper war lasterhaft verbraucht, sein Geist, obschon noch lodernd, vermochte nicht viel mehr, als über einen lächerlichen Gegner zu triumphieren. Dabei brauchte die Welt ihn zu dieser Stunde mehr denn je! Wenn Frankreichs Monarchie fiel, würden andere Monarchien folgen. Doch nicht die Bruderschaft profitierte davon, sie war noch klein, unbedeutend und in alle Winde zerstreut, sondern die stumpfsinnigen Befürworter allgemeiner Gleichheit.
    Wollten die Menschen am Ende tatsächlich nichts anderes, als keinen Unterschied mehr zu ihrem Nachbarn feststellen zu können?
    Galiani schauderte es.
    Er sah eine Welt, in der es keine Schönheit und keinen Luxus mehr gab, eine Welt voller grauer uniformierter Gestalten, eine Welt, in der alle gleich denken mussten, um sich gleich fühlen zu können.
    Er sah aber auch, dass er den Menschen entgegenkommen musste. Sie würden seinem Modell so wenig folgen wie einst Ludwig XV .,würden es mit unsinnigen Vorwürfen und Befürchtungen belegen. Denn der Mensch glaubte nicht an die Kraft des Unterschieds, sondern an den Segen der Uniformität.
    Ein kaum niederzuringender Brustkrampf presste alle Lebensenergien aus Galianis abgezehrtem Leib. Er musste die wartende Kutsche noch einmal fortschicken! Denn plötzlich keimte eine Idee in ihm auf, der Beweis, wie unschädlich sein großartiges System war. Niemand musste es fürchten! Richtig gehandhabt, konnte es nicht als Waffe gegen , sondern nur als Instrument für die Menschheit eingesetzt werden.
    Mühselig stemmte sich der Sterbende hoch. Mit krächzender Stimme rief er seinen Kammerdiener um ein Tintenfass. Dann schlug er die Bibel des Bischofs an einer zufälligen Stelle auf – Papier war Papier! – und kritzelte eine Bemerkung an den Seitenrand: Cuius rei demonstrationem mirabilem sane detexi. Hanc marginis exiguitas non caperet.
    Erleichtert ließ er sich in die Kissen zurückfallen. Das war weniger, als er noch zu schaffen gehofft hatte, doch es musste genügen. Der Tod ließ sich nun nicht länger aufschieben. Ferdinando Galiani atmete einmal tief aus und vergaß dann das neuerliche Einatmen.
    Am Rand der bischöflichen Bibel stand das Vermächtnis des Verstorbenen: Er habe leider nicht genügend Platz für einen wunderbaren Gedanken vorgefunden.

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    106
   Hamburg
Mittwoch, 5.   August, 12   :   00
    Nachdem Kingfish telefonisch seine Börsengeschäfte erledigt und anschließend von Pia erfahren hatte, dass sich Ranchin mit den Dongles in Mellau aufhielt, rief er bei der Rezeption des Hotels Pazific an, damit man seinen gelben Humvee aus der Tiefgarage hole.
    »Wie die den da reingekriegt haben«, kommentierte er, »ist mir ein Rätsel. Aber dann sollen sie ihn auch ohne Beulen wieder rausfummeln!«
    Anschließend schüttete er sich im Badezimmer ein paar Hände voll kalten Wassers ins Gesicht, stieg in seine speckigen Jeans und blickte die beiden Besucher erwartungsvoll an. »So!«, machte er. »Auf geht’s in die Alpen! Wir holen uns die Dongles zurück, damit die Piusbrüder 2.0 nicht die Welt zu unseren Ungunsten verändern.«
    »Du willst doch jetzt nicht etwa Auto fahren?«, fragte Pia entgeistert.
    »Ich bin topfit!« Kingfish gähnte. »Ist nur wegen der schlechten Luft hier drin«, meinte er entschuldigend.
    »Kommt gar nicht infrage!«, verbot ihm Holzwanger. »Wenn überhaupt, wird nach München geflogen.«
    »Kommt gar nicht infrage!«, widersprach Kingfish heftig. »Ich brauche meine Karre vor Ort!«
    »Dann übernehme ich das Steuer«, bestimmte Pia.
    »Du?« Holzwanger schüttelte den Kopf. »Keinesfalls. Wenn, dann werde ich –«
    »Doktorchen bleibt zu Hause«, verfügte Kingfish mit

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