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Ende.«
Arcimboldo kratzte sich am Kopf: »Wie kommen Sie darauf?«
»Die sechzehn Seiten dieser zweiten Schrift enthalten eine weitschweifige Einleitung, aber keine Spur von der angekündigten mathematischen Formel.«
»Hm«, machte der Dozent ratlos.
»Nach vierzehn Seiten wird es dann endlich spannend. Leider nur für wenige Absätze.«
»Na, dann lesen wir doch mal die wenigen Absätze, am besten laut«, schlug der Ziegenbärtige vor.
Dottore Guiseppe Arcimboldo fühlte, wie ihm das Heft des Handelns entglitt. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der geschniegelte Mafioso, der behauptet hatte, von Toggle Turin zu kommen, diese Situation vor Augen gehabt hatte, als er versicherte, die Dinge würden von ganz alleine ihren Lauf nehmen.
»So geht das nicht«, verfügte er mit fester Stimme. »Wenn Sie lernen wollen, was Wissenschaft ist, können Sie sich nicht einfach nur Rosinen aus einem Text herauspicken. Sie fangen schön von vorne an und studieren die weitschweifige Einleitung mit gebührender Aufmerksamkeit. Wissen wir, ob darin nicht ein Hinweis auf den fehlenden Textteil versteckt ist?«
Ein leises Murren der Studenten blieb die einzige Protestäußerung. Dann folgten alle der Anweisung des Dozenten, der damit eine Viertelstunde gewann, um die Lage zu sondieren.
»Ich werde den Rest des Buches besorgen«, verkündete Arcimboldo selbstgewiss. »Wahrscheinlich haben Sie einfach den Download unterbrochen.«
Die Studenten hörten schon gar nicht mehr hin. Zu ihrem Leidwesen mussten sie feststellen, dass sich eine Schrift aus dem 18. Jahrhundert von ungeübten Lesern nur schwer verstehen ließ.
Vielleicht blieb Arcimboldo sogar eine halbe Stunde.
Die PDF ließ sich bei Toggle Books mit zwei Stichworten ausfindig machen. Doch sie endete tatsächlich nach einem Dutzend Seiten ohne Nummerierung.
Guiseppe Arcimboldo starrte aus dem Fenster seines kleinen Büroverschlags. Die schmutzigen Wände des gegenüberliegenden Gebäudes strahlten die nämliche Trübsal aus, die sich in ihm auszubreiten begann. Dass seine Studenten zu unbeholfen waren, eine Datei unversehrt aus dem Internet zu laden, war allerdings eine sehr naive Hoffnung gewesen.
In Wahrheit lag eine ernst zu nehmende Panne vor.
Eine Panne jenes Ausmaßes, das zum sofortigen Verlust jeglicher Sympathien bei den Paten von ’O Sistema führte. Dieser Verlust kam schnell und gründlich und war irreversibel. Man konnte ihm nur entgegenwirken, indem man so rasch wie möglich – dabei in gebotener Demut – auf die unvorhergesehene Wendung hinwies. Zugleich sollte man einen Verdacht parat haben, der alle Verantwortung auf andere lenkte.
Doch wie erreichte man ’O Sistema?
Arcimboldo toggelte das Impressum der Turiner Suchmaschinenniederlassung. Die neapolitanische Camorra besaß viele Filialen, ein amerikanischer Konzern als Deckadresse erschien ihm nicht ungewöhnlich.
Der Dozent wählte die angegebene Nummer.
Nach zwei Freizeichen kicherte ihm eine aufgekratzte Mädchenstimme ins Ohr, sie sei nicht der Computer, was aber bloßer Zufall sei, da vor zehn nie jemand ins Büro käme, also könne man sie auch nur wie einen Anrufbeantworter besprechen, sie werde nichts erwidern. Arcimboldo wollte sofort wieder auflegen, doch dann verstellte er die Stimme und drohte: »Um zehn Uhr fünf wird der Virus Contemplatio alle Toggle-Systeme der Welt für eine Viertelstunde lahmlegen, um eine spirituelle Datenpause zu erzeugen.«
Das Kichern erstarb.
Arcimboldo hörte das hektische Klacken einer Tastatur, dann meldete sich eine Männerstimme: »Pronto?«
»Signor Guglielmi?«
»Am Apparat.«
»Guiseppe Arcimboldo von der Unito .«
»Ah, Dottore!« Die Stimme nahm sofort einen herzlichen Klang an. »Ihre Studenten sind spitze. Sie haben gleich nach dem Seminar Galiani getoggelt. Das ist natürlich ausschließlich Ihr Verdienst!«
»Danke.«
»Sagen Sie mal, Dottore, was haben Sie eben der Telefonistin erzählt? Sie ist völlig verstört.«
»Meinen Studenten ist etwas aufgefallen«, überging Guiseppe Arcimboldo die Frage.
»Das sollte es auch! Wozu stecken wir sonst so viele Steuergelder in die Hochschulen des Landes?« Der Toggle-Mann lachte.
Arcimboldo schöpfte Hoffnung. Vielleicht trug die gute Stimmung zur Deeskalation bei.
»Ich bin sicher, dass sich alles schnell beheben lässt«, spielte der Dozent den Vorfall herunter. »Es scheint so, als hätte jemand im untersten Glied Ihrer Organisation die Dateien
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