Toggle
miteinander verschmolzen.«
»Bitte?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, krümmte sich Arcimboldo vor Ergebenheit. »Ich will niemandem die Schuld in die Schuhe schieben, aber es ist doch so, dass –«
»Kommen Sie zur Sache, Dottore! Wer hat was vertauscht?«
»Es sind zwei verschiedene Bücher«, bekannte der Dozent. »Wie es scheint, beginnt ab Seite 321 ein anderer Text.«
Erneut hörte er den Toggle-Mann lachen: »Schon okay! Buchbinder im 18. Jahrhundert waren teuer. Da hat man gern zwei, drei Schriften zusammengefasst.«
»Aber diese zweite Schrift ist unvollständig.« Arcimboldo flüsterte plötzlich: »Ich weiß natürlich, dass wir Neapolitaner eigene Methoden haben, mit Fehlern umzugehen, aber …«
»Reden Sie keinen Blödsinn!«, polterte Piero Guglielmi. »Unvollständig? Was ist unvollständig?«
»Ich habe mich vollkommen an Ihre Direktiven gehalten«, hauchte der Dozent. »Selbstverständlich übernehme ich alle Verantwortung für meine Studenten, aber mir scheint, der Fehler ist schon viel früher ins Sistema geraten, wenn Sie verstehen? Ich wollte Sie nur davon in Kenntnis setzen.«
Einen Moment lang gab der Hörer nur weißes Rauschen von sich.
»Das Unfehlbare System ist unvollständig?«
Nun hatte es der Toggle-Mann endlich begriffen.
»Ja … gewissermaßen fängt es nicht mal richtig an.«
»Ich kümmere mich darum. Schicken Sie Ihre Studenten nach Hause.«
»Jawohl.«
»Aber halten Sie deren Neugier wach! Ich will, dass sie morgen nochmals den Text toggeln. Dann werden sie eine vollständige Fassung finden.«
Arcimboldo nickte. Das klang nicht nach einer bevorstehenden Exekution oder der etwas harmloseren Variante zweier Schüsse in die Knie. Mit zitternder Hand legte er auf.
Was sollte er tun?
Sollte er überhaupt etwas tun?
Nach ein paar Minuten entschied er sich, selbst eine Buchausgabe zu besorgen. So schwierig konnte das nicht sein! Von einem in der Rechtsgeschichte derart unbeachteten Buch musste es noch unzerlesene Exemplare geben, nicht viele vielleicht, doch die wenigen warf man nicht weg.
Guiseppe Arcimboldo loggte sich in den OPAC der Biblioteca Nazionale ein. Erwartungsgemäß war das Buch dort nicht verzeichnet. Dann steuerte er das größte Online-Antiquariat des Netzes an, gab die Worte ›unfehlbar‹ und ›System‹ ein und erhielt nach längerem Warten einen einzigen Treffer: ›Tonleiterstudien und Duette für Solovioline, ungarisch / deutsch‹.
So ein Unsinn! Sein Buch hieß ja auch ganz anders.
Mühsam tippte er den langen Titel ein: Dei doveri dei Principi neutrali verso i Principi guerreggianti, e di questi verso i neutrali, libri due.
Es dauerte keine zwei Sekunden, dann flammte ein Angebot auf seinem Bildschirm auf.
Aber was war das?
Der Verkäufer verlangte 500 Euro!
Ein halber Tausender für ein Buch, das vermutlich seit Jahrzehnten von niemandem nachgefragt worden war? Gewiss, der Antiquar verwies auf den hervorragenden Zustand des in Teilen unaufgeschnittenen Exemplars und pries dessen zartes Einbandleder, dem er mit einer Klammerbemerkung zusätzlichen Wert zu verleihen suchte: »Vermutl. aus Menschenhaut.«
Obwohl Arcimboldo in seiner Not bereit war, 500 Euro zu bezahlen, ärgerte ihn dieser marktschreierische Zusatz derart, dass er etliche Minuten brauchte, um sich selbst von der Unumgänglichkeit seiner Investition zu überzeugen.
Dann klickte er mit zusammengebissenen Zähnen auf den Einkaufskorb. Der Wunsch nach Eilzustellung per Flugkurierdienst erhöhte den Preis um weitere 100 Euro. Doch das Antiquariat Sturm über Petersburg lag in Deutschland, und Deutschland war an Italien postalisch nur mangelhaft angeschlossen.
600 Euro, um den Kopf aus einer Schlinge zu ziehen, von der man gar nicht wusste, ob sie überhaupt schon geknüpft war?
Dottore Guiseppe Arcimboldo seufzte tief. In Zukunft würde er sich von solchen Geschäften fernhalten.
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Mellau (Auffahrt)
Dienstag, 27. Juli, 9 : 00
Am Himmel trübte keine Wolke die Aussichten auf einen prächtigen Sommertag. Der schwarze Granitblock, der die Gäste von Schloss Mellau in der Auffahrt begrüßte, glänzte geheimnisvoll in der Sonne, denn die Brunnenskulptur war von einem dünnen Wasserfilm überzogen. Links der Auffahrt mähte ein greiser Bauer eine Alpenwiese mit der Sense, rechts davon harkte sein Enkel bereits getrocknetes Heu zusammen. Die Szene wirkte wie ein pastellfarbenes Idyll aus dem 19. Jahrhundert. Doch das versunkene
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