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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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»Na Maria«, sagte er anzüglich und baute sich drohend vor der Streberin auf. »Sie haben wohl eine aufregende Nacht hinter sich.«
    Die Angesprochene setzte ein verlegenes Lächeln auf. Nicht einmal das übertriebene Make-up schaffte es, ihre tiefen Augenringe zu verdecken. Vielleicht saß sie deshalb an diesem Morgen in der letzten Reihe.
    »Maria, Maria«, fuhr Arcimboldo fort und hob spielerisch den Zeigefinger. »Für diese Exzesse müssen Sie Buße tun! Entweder Sie verraten uns ein paar Details Ihrer nächtlichen Vergnügungen – bei denen ich, was ich ausdrücklich betonen muss, leider nicht anwesend war – oder Sie geben uns eine kurze Zusammenfassung dessen, was Herr Galiani vor einem Vierteljahrtausend niedergeschrieben hat.«
    Die Studentin war unter seinen Worten puterrot angelaufen und schwieg.
    »Nun?«, fragte Arcimboldo angriffslustig.
    Wenn seine Strategie nicht verfing, saß er in der Patsche, denn er wusste nicht im Geringsten, was er mit den Studenten anfangen sollte. Er war sogar zu faul gewesen, im Internet nach dem Buch zu forschen.
    »Ich …«, flüsterte Maria so leise, dass es kaum jemand verstand. »Es gibt da ein Problem.«
    »Bitte?«, fasste Arcimboldo nach.
    »Es gibt da ein Problem«, wiederholte Maria etwas lauter.
    »Sie sind zu müde, um referieren zu können.«
    »Ich bin nur bis Seite 332 gekommen.«
    »Schändlich wenig für die reichlich bemessene Zeit einer ganzen Nacht. Aber wir wären auch mit einem fragmentarischen Überblick bis zu dieser Seite zufrieden.«
    »Es ist aber …« Die Studentin gewann allmählich ihre Selbstsicherheit zurück. »Da beginnt etwas völlig Neues.«
    Dottore Guiseppe Arcimboldos Gedanken verließen für einen Moment den Ort des Geschehens und wanderten nach Neapel. Die erste kleine Dienstbarkeit, die ’O Sistema noch als Student von ihm gefordert hatte, war am Ende zu einer Mordsache geworden. Nicht von ihm begangen, Gott bewahre, doch konnte man die Konsequenzen eines Auftrags nie endgültig ermessen. Deswegen war es am besten, sich nach allen Richtungen hin taub zu stellen. Beim aktuellen Auftrag ging es um Wissen an sich, das machte die Sache verzwickt.Wie konnte man da geistig abtauchen, ohne seine Pflichten zu verletzen?
    »Es hat auch nichts mehr mit Völkerrecht zu tun, sondern eher mit Staatsrecht«, hörte er Maria sagen. »Oder … ich weiß nicht … vielleicht sogar überhaupt nichts mehr mit Recht.«
    Die anderen Seminarteilnehmer erwachten aus ihrer morgendlichen Lethargie und gaben ein paar auffordernde Laute von sich. Maria packte ihren dicken Stapel ausgedruckter Seiten und schleppte ihn ans Dozentenpult. Dort schichtete sie eine Menge Blätter um, bis sie nur noch ein Dutzend davon in den Händen hielt.
    »Es beginnt auf Seite 321«, hob sie in sachlichem Tonfall an. »Bis dahin … na ja, das erzähl ich euch ein andermal, naturrechtliche Gemeinplätze aus dem 18.   Jahrhundert. Auf Seite 321 findet sich dann folgende Überschrift –«
    Sie beugte sich über das Pult und kniff die Augen zusammen, als habe sie es am Morgen versäumt, ihre Kontaktlinsen einzulegen.
    »Ja?«, fragte Arcimboldo. Allmählich braute sich in seinem Gedärm eine gewisse Unruhe zusammen.
    Maria las stockend: »Unfehlbares System zur perfekten Lenkung der Welt unter Absehung von Gewalt, doch ohne Rücksicht auf herrschende Mächte, deren garantierte Privilegien und bestehende Pfründe. Nebst einer mathematischen Formel zur Vermessung der menschlichen Ungleichheit und zur Ableitung eines gerechten Verteilungsschlüssels aller Güter. Eingereicht als Beitrag zum Prix de morale der Académie de Dijon von Ferdinando Galiani, Neapel 1754.«
    Sie blickte in die Runde.
    »Das hat mit dem restlichen Buch nichts zu tun«, erläuterte sie. »Ich habe nachgeforscht, das Völkerrechtsbuch ist erst in den 1780er-Jahren entstanden, beim Text ab Seite 321 handelt es sich um eine sehr viel ältere Schrift. Wahrscheinlich sind beim Scannen unabsichtlich zwei Bücher miteinander verschmolzen. Die Typografie verändert sich, die Seitenzahlen wechseln dann auch von arabischen auf römische Ziffern.«
    »Klingt spannend«, meinte ein ziegenbärtiger Student. »Da hätteich doch einen doppelten Espresso gekippt und weitergelesen, statt irgendwann wegzudämmern.«
    »Ich bin nicht weggedämmert!«, verteidigte sich die Angegriffene. »Aber sechzehn Seiten später war einfach Schluss. Finito! Der Text endete abrupt.« Sie hielt inne. »Aber er ist nicht zu

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