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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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Variante des Pinski-Narin-Algorithmus, weil er sich für Bibliometrie interessiert. Mit sechzehn!«
    Holzwanger unterdrückte ein Gähnen.
    »Anderthalb Jahrzehnte später ist das Internet da. Übrigens«, unterbrach Weinberger seine Erzählung, »was unsere neunmalklugen Eierköpfe auf dem Hearing unterschlugen: Kein einziger Zukunftsforscher, nicht einmal ein Science-Fiction-Autor, hat je das Internet vorhergesehen. So viel zum prophetischen Potenzial dieser ganzen Bande.«
    Holzwanger nickte. Er glaubte auch nicht an das Wahrsagertalent von Professoren.
    »Wegen ihrer glänzenden Zeugnisse erhielten beide Jungen Stanford-Stipendien. Wann sie zum ersten Mal im Santa-Clara-County aufeinandertrafen, wissen nur sie selbst. Tatsache ist, dass sie seitdem ihre Gehirne kurzgeschlossen haben, um die Welt zu verändern. Das dauerte allerdings ein paar Jahre. Zunächst ließen sich Grin und Cage durch ihr Studium treiben wie tausend andere Californian Boys auch. Ein Ziel war nicht in Sicht. Sie fanden das Internet lustig, aber weniger lustig, dass man sich durch einen Haufen Schrott wühlen musste, bevor man auf etwas Brauchbares stieß. Besonders Cage, der Bücher liebte, war entnervt von all dem Müll, den ihm Yahoo, Hotbot, Altavista und all die anderen längst vergessenen Suchmaschinen präsentierten. Eines Tages erinnerte er sich an die Geller’sche Variante des Pinski-Narin-Algorithmus und begann damit herumzuexperimentieren.«
    »Was zum Teufel macht dieser Algorithmus?«, fragte Holzwanger stirnrunzelnd.
    »Mit ihm haben Bibliothekare lange vor dem Internetzeitalter versucht, Zitatrankings für wissenschaftliche Werke zu erstellen. Als Mediziner wirst du das kennen: Je öfter ein Aufsatz zitiert wird, fürumso wichtiger hältst du ihn. Da du immer wissen musst, welcher Aufsatz deine knappe Zeit wert ist, orientierst du dich an diesem Maßstab. Wie dem auch sei«, fuhr Weinberger fort, der sich selbst in der Materie nicht gut auskannte, »Cage entwickelte mit Grin zusammen die Toggle-Formel, die binnen Kurzem den Suchmaschinenmarkt umkrempelte. Außerhalb Russlands dominiert sie überall auf der Welt 80 bis 90 Prozent des Marktes.«
    »Warum nicht in Russland?«
    Weinberger zuckte mit den Schultern: »Keine Ahnung. Alte familiäre Abneigungen? Kyrillisch interessierte die beiden einfach nicht. Als Toggle endlich ein russisches Modul entwickelte, war ein Moskauer Startup längst der Platzhirsch. Es gehört jetzt zum Imperium eines Oligarchen namens Fünfgeld.«
    »Immer noch kein Märchen«, protestierte Holzwanger.
    »Hör zu! Grin und Cage entdeckten als Erste, dass unsere Welt verschwindet. Vielmehr: dass sie sich langsam aber stetig in binärem Code auflöst.«
    » Sie entdeckten das?«, meinte Holzwanger spöttisch. »Nicht zufälligerweise Millionen anderer Menschen auch?«
    Weinberger ließ sich nicht provozieren: »Als Erste und Einzige. Niemand hat vor ihnen so weit gedacht, und niemand hat so weit vorausgedacht wie sie. Denn es dauerte nicht lange, bis beide begriffen, dass sie das Dach ihres Hauses vor dem Fundament und den Wänden errichtet hatten. Der Suchalgorithmus war das Dach. Er schwebte quasi in der Luft.«
    »Informationen«, rekonstruierte Holzwanger, als ginge ihm zum ersten Mal Toggles Geschäftsmodell auf. »Bücher, Musik, Bilder, Videos, Landkarten – all das formt das Haus! Genetische Codes?«
    Weinberger zuckte mit den Schultern: »Warum nicht? Alles, was sich digitalisieren lässt, trägt zur Stabilität des Hauses bei. Und darüber thront Toggle als Hüter aller Daten, als Führer durchs Informationsgestrüpp. Irgendwann entschlüpfte Cage in einem Vortrag der Satz: Die perfekte Suchmaschine wäre wie der Geist Gottes. Imponierend, was? Ich bin sicher, dass Luke Cage Toggle schon damals keineswegs für unperfekt hielt. Der Konjunktiv sollte nur andeuten, dass Toggle zur Gottähnlichkeit noch etliche Milliarden Datensätze fehlten.«
    Das ging Holzwanger zu weit: »Gottähnlichkeit macht den Menschen Angst«, protestierte er.
    »Möglich. Aber wir reden hier vom gütigen Gott, vom Allmächtigen, der unsere Geschicke so lenkt, dass wir nichts zu befürchten haben. Keine Naturkatastrophen, keine Übergriffe von Feinden, keine bösen Überraschungen. Seit Jahrtausenden glauben wir an einen solchen Gott, obwohl seine Performance ziemlich lausig ist. Seit Jahrtausenden versuchen wir deshalb, ihn technisch nachzuahmen, weil sich Magie und Hexerei als Reinfall erwiesen haben. Denk an die Worte

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