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Titel: Toggle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Felix Weyh
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Fahrwasser folgte Pia Holzwanger. »Hier scheint Reiselektüre noch dringlicher als bei mir zu sein«, bemerkte er aufgesetzt freundlich zur Buchhändlerin.
    »Ah, Professor Ranchin!«, begrüßte ihn Pia.
    Sie scheuchte ihren Nachwuchs in die Kinderbuchecke und sprach mit leiser Stimme: »Werden Sie bis zu Melissa Stockdales Beerdigung in Deutschland bleiben?«
    »Warum?«, fragte Ranchin, ehrlich erstaunt.
    »Oh, ich dachte, wenn ein IAS – Mitglied auf solche Weise …«, stotterte Pia.
    »Wir sind nicht so biologisch orientiert«, sagte Ranchin und bemerkte nicht, wie herzlos es klang. »Uns interessiert mehr, was von den Mitgliedern jenseits ihrer Hülle übrig bleibt. Außerdem«, fügte er mit einem entschuldigenden Lächeln an, denn nun hatte er Pias Befremden wahrgenommen, »habe ich gehört, dass ihr Leichnam in die USA überführt werden soll.«
    Er klemmte sein Buch unter den Arm und verbeugte sich höflich. »Ich hoffe, wir werden bald etwas von Ihnen hören. Etwas, das die IAS ermuntert, Ihren Rang zu erhöhen.«
    »Ich publiziere doch nicht mehr«, antwortete Pia etwas lahm.
    »Aber Sie sind ein Organisationstalent. Diese Tagung hier war ein schöner Anfang. Vielleicht bekommt Ihr Mann jetzt sogar größere Entscheidungsspielräume, damit wachsen natürlich auch die Möglichkeiten seiner Frau.« Er verbeugte sich nochmals. »Bon voyage! Ich muss packen.«
    Schnellen Schrittes verließ er den Laden, und die Buchhändlerin zwinkerte Pia zu. »Ich hab ihm eins von den Dijkerhoff-Büchern mit eingepackt«, erklärte sie stolz. »Wollen Sie auch eins? Kostet heute nichts.«
    Pia nickte mechanisch. Dieses Hotel war eine schreckliche Klatschbude. Nur gut, dass sie nach dem Mittagessen aufbrechen würden.

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    59
   Mellau (Friedhof)
Mittwoch, 28.   Juli, 10   :   15
    Der Gottesacker von Mellau lag auf einem kleinen Hügel westlich des Schlosses und beherbergte ein knappes Dutzend Gräber, deren Inhaber alle miteinander verwandt schienen. Wenige Meter entferntströmte der Forchbach in eine Felsklamm hinein und erzeugte dabei ein so vernehmliches Dröhnen, dass von Totenruhe kaum die Rede sein konnte. Trotzdem wirkte die Szenerie malerisch.
    »Punkt Mitternacht steigt die Sippe aus ihren Gräbern, um zu streiten«, spottete Weinberger. »Die sind sich seit Generationen nicht grün. Missgünstige Erben. Zur Strafe müssen sie bis in alle Ewigkeit hier zusammenliegen.«
    »Und in den Zeiten, als Mellau ein Sanatorium war«, meinte Holzwanger, »sind da nicht viele Leute gestorben, die hier –«
    »Von denen liegt hier keiner«, schnitt ihm Weinberger das Wort ab. »Feine Leute geben sich nur mit feinen Leuten ab! Wie bei den Lebenden auch.«
    Er deutete auf das Hotel in der Ferne. »Ich mag Märchenschlösser nicht«, erklärte er. »Trotzdem erzähl ich dir jetzt ein Märchen.« Bevor er fortfuhr, nahm er sein Handy aus der Hosentasche und entfernte den Akku. »Alte Gewohnheit. Wo Strom fließt, sind Mithörer nicht weit.«
    So fängt also ein militärisches Briefing an, dachte Holzwanger. Interessant.
    »Das Märchen beginnt 1973 in der Sowjetunion, im Reich des Bösen. Wer immer was im Kopf hatte, wollte weg. Wer weg wollte, wollte in die USA . Die USA mochten nämlich Leute, die was im Kopf hatten, und behandelten sie anständig. 1973 wurden zwei Jungen geboren, der eine in Ann Arbour, der andere in Moskau.«
    »Grin und Cage«, sagte Holzwanger. Die Namen der beiden Toggle-Gründer kannte jedes Kind. »Ann Arbour liegt aber in Amerika und nicht in Russland.«
    »Die Geburtsurkunden spiegeln eine falsche Parität wider. In Wahrheit war auch der in Ann Arbour geborene Junge ein Kind russischer Eltern. So wie der Moskauer Junge sechs Jahre später zum Amerikaner wurde.« Weinberger feixte: »Die Russen erzeugen, wir kaufen ab. Braindrain. Ist heute noch so, aber jetzt mögen wir auch noch die Mongolei und ein paar andere ehemalige Sowjetsatelliten. Die Programmierer von dort können was.«
    »Das Märchen«, beharrte Holzwanger und schielte heimlich auf seine Armbanduhr. Pia und die Kinder warteten.
    »Zwei Jungen desselben Jahrgangs. Beide Sprösslinge emigrierter Russen. Beide hochbegabt. Mit neun Jahren erhält der eine einen C64 geschenkt, mit vierzehn beherrscht er das binäre Denken perfekt. Ein Wunderkind. Dem anderen haben es Zahlen und Bücher angetan, seltsame Kombination, aber folgenreich. Während seine Altersgenossen auf Teenagerpartys herumhängen, stößt er auf die Geller’sche

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